Hut ab, Herr Weidmann!

Stefan Riße · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Vor mehr als zwei Jahren schrieb ich eine Kolumne mit dem Titel „Löhne rauf zur Eurorettung“. Gemeint waren die deutschen Löhne, die steigen sollten, damit die kriselnden Peripherieländer Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen könnten. Da eine Währungsabwertung im gemeinsamen Währungsraum keine Option mehr ist, könnten ansonsten nur die Löhne in den Krisenländern schrumpfen. Doch dies berge immer die Gefahr einer Deflation und damit einer gefährlichen Abwärtsspirale, so die Argumentation, die heute noch Gültigkeit besitzt. Bundesfinanzminister Schäuble stieß wenig später in das gleiche Horn und forderte kräftigere Gehaltssteigerungen.

Umdenken in der Bundesbank?

Vor kurzem hat sich auch die Europäische Zentralbank (EZB) in gleicher Weise geäußert. Das war kein Wunder. Sie wird mittlerweile dominiert von Mitgliedern, die eher einer lockereren Geldpolitik zusprechen. Die harten Inflationsbekämpfer, wie sie im Bundesbankgremium Gang und Gäbe waren und sind, befinden sich in der Minderheit. Im Grunde ist Bundesbank-Chef Jens Weidmann der letzte verbliebene Kämpfer für eine vor allem auf Preisstabilität ausgerichteten Politik. Wer die Geldpolitik der Bundesbank bereits lange beobachtet, der musste sich deshalb jüngst die Augen reiben. Nicht nur der Chefvolkswirt, sondern auch Bundesbankchef Jens Weidmann höchstpersönlich forderten wie die EZB kräftigere Lohnerhöhungen in Deutschland. Heißt das, dass in der Bundesbank nun ein gänzlich neuer Wind weht und umgedacht wurde? Nein!

Pragmatismus statt Dogmatismus

Jens Weidmann zeigt mit dieser Forderung, die wegen der in Deutschland geltenden Tarifautonomie auch aus diesem Grund mutig war, dass er Pragmatiker und nicht Dogmatiker ist. Er hat die Tatsachen anerkannt und ist auf der Suche nach praktikablen Lösungen, die nicht die Konjunktur und den sozialen Frieden gefährden. Was Weidmann verhindern will, sind Anleihekäufe im großen Stil durch die EZB. Hier wird er seine Meinung nicht geändert haben. Deshalb sieht er stärkere Lohnsteigerungen als das geringere Übel an. Denn je mehr Wettbewerbsfähigkeit die Krisenländer zurückgewinnen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit ihrer wirtschaftlichen Gesundung und damit der Finanzierung über den Kapitalmarkt und nicht durch die EZB. Für diese Sichtweise und den Mut zum Tabubruch gebührt ihm Respekt.

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