Kann man jetzt noch optimistisch sein?

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo, Leute! Erst mal mein Dank für Eure Mails und Meinungen! Dabei sind zuletzt einzelne Zweifler wieder lauter geworden - typisch die Formulierung: „Lieber Börsenfuchs, Ihre Zuversicht macht mir Mut, aber kann man denn als Anleger wirklich noch optimistisch sein?“ Klar doch! Das gilt nicht pausenlos, aber grundsätzlich. Denn vergesst bitte nicht: Unser ganzes Wirtschaftssystem ist auf Wachstum, Steigerung, Vermehrung aufgebaut. Das gilt logischerweise auch für Kapitalanlagen - obwohl man längst auch mit dem Abwärts der Kurse Geld verdienen kann (spielt in der Praxis aber nur eine Nebenrolle).

Außerdem gibt’s ja genug Mahner, Warner und Pessimisten (jedenfalls für meinen Geschmack), finden Crash-Gurus und Katastrophen-Kassandras besonders interessierte Ohren. Kenner der griechischen Mythologie werden mir den Fehler in diesem Bild verzeihen, denn: Der Gott Apollon gab Kassandra, einer Tochter des trojanischen Königs Priamos, wegen ihrer Schönheit die Gabe der Weissagung. Als sie jedoch seine Verführungsversuche zurückwies, verfluchte er sie und ihre Nachkommenschaft, auf dass niemand ihren Weissagungen Glauben schenken werde. Daher gilt sie in der antiken Mythologie als tragische Heldin, die immer das Unheil voraussah, aber niemals Gehör fand. Nun stellt Euch vor, meine Freunde und Kritiker, alle wichtigen Banken, Volkswirte, Politiker und Journalisten usw. würden die (Börsen-)Welt nur in total düsteren Farben malen - welcher Unternehmer wollte dann was unternehmen, welcher Investor investieren?

Trotzdem muss sich jeder natürlich den Problemen und Herausforderungen stellen, um die Chancen und Risiken so gut wie möglich abzuwägen. Nehmen wir uns heute also mal die Gefahren vor, kurz zusammengefasst, wobei ich gern auf das Handelsblatt zurückgreife, das dazu unter dem Motto „Märkte in Aufruhr“ Sonderseiten veröffentlicht hat. Im Mittelpunkt: Die fünf Risiken für die Finanzmärkte.

Punkt 1 ist das extreme Auf und Ab der Aktien selbst. Euro-Schuldenkrise, Ukraine-Krieg und Griechenland-Schuldendesaster - lange sah es so aus, als wäre der Dax unverwundbar. Risiko Nummer 2 sind die Schulden, die eine gefährliche Eigendynamik entwickeln. Auf 199 Billionen Dollar (!) beziffert die Unternehmensberatung McKinsey die globale Verschuldung per Ende vergangenen Jahres. Wie kommen wir da wieder raus? Gelassene Ökonomen sagen: nur durch Wachstum, andere (und nicht wenige!) sind überzeugt, nur durch Inflation. Wenn das alles nicht hilft, bleibt wahrscheinlich nur eine Währungsreform. Gefahrenpunkt 3 sind die Notenbanken, allen voran Federal Reserve und Europäische Zentralbank. Deren Niedrigzinspolitik war und ist der wichtigste Motor für die Aktienmärkte, hat gleichzeitig aber viele Nachteile. Wie kommen wir zurück zu normalen Verhältnissen? Für mich ein ganz entscheidender Punkt. Aktuell im Vordergrund steht der Handelsblatt-Punkt 4: China, der „überschätzte Riese“. Der Exportweltmeister ist kein Wachstumsgarant mehr für die Weltwirtschaft. Und es haben sich Sorgen ausgebreitet, dass im Reich der Mitte alles viel schlimmer aussieht als es Peking zugibt. Punkt 5 betrifft die gigantischen (Staats-) Anleihemärkte, in denen viel Luft ist. Platzen hier die Kurs-Blasen nach der Zinswende in Amerika mit empfindlichen Folgen für andere Finanzmärkte?

Dieser letzte Punkt juckt mich am meisten in meiner Fuchsnase, weniger das China-Syndrom (obwohl man es nicht unterschätzten sollte). Als geradezu bedrückend empfinde ich aber ein Mega-Thema, das auf der Handelsblatt-Liste nicht auftaucht - wahrscheinlich, weil es nicht „kursrelevant“ ist: Die Flüchtlingsproblematik, denn sie entwickelt sich zu einer neuen Völkerwanderung und überfordert die nationale Politik. Ich befürchte: Dies - und nicht Griechenland - wird die größte Herausforderung für Europa und könnte das ganze, längst wackelnde Gebäude schlimmstenfalls zum Einsturz bringen. Schon vorher würden internationale Investoren riesige Beträge aus der alten Welt abziehen.

Achtung, zusammenfassend greife ich tief in die Bildungskiste, denn ich halte es mit Karl Popper, dem großen österreichisch-britischen Philosophen und Begründer des „kritischen Rationalismus“ - einer Lebenseinstellung, „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“. Popper sagte nämlich: „Optimismus ist Pflicht [ … ] Unsere Einstellung der Zukunft gegenüber muss sein: Wir sind jetzt verantwortlich für das, was in der Zukunft geschieht.“

PS.: Eigentlich wollte ich meinen Optimismus doch mit China begründen, nämlich mit dem Wunsch, niemals verhaftet zu werden, weil ich Druck auf Aktienkurse ausgeübt habe - deswegen also lieber nach oben blicken. Aber mal ehrlich: Wer weiß schon wirklich, was der chinesische Journalist gemacht hat bzw. was die Regierung mit ihm gemacht hat?

Post an den Börsenfuchs: boersenfuchs@onvista.de

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