Von wegen Urlaubsentspannung - Chaostage an den Aktienmärkten

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Von wegen Urlaubsentspannung - Chaostage an den Aktienmärkten

Ich komme gerade aus dem Urlaub zurück. Mein Blackberry zum Lesen der E-Mails und News über die Marktentwicklung vergesse ich zur großen Freude meiner Familie im Urlaub nie. Einerseits will ich bei Rückkehr am Arbeitsplatz nicht wie der unwissende Ochse vor dem großen Berg von vierstelligen E-Mails stehen. Andererseits bekomme ich grundsätzlich kapitalmarkttechnische Entzugserscheinungen. Damit konnte ich allerdings weder der geo-, finanz- und wirtschaftspolitischen Schlechtwetterfront, noch dem kurzfristigen Abtauchen des DAX unter die Marke von 9.000 Punkten entkommen.

Früher war alles besser. Früher konnte man sich im Sommer in den Urlaub verabschieden und wusste, dass in dieser Saure Gurken-Zeit in der Heimat nichts anbrennt. Und heute? Krisen, Konflikte und Probleme soweit das Auge reicht: Geopolitische Krisen in Nahost, im Gaza-Streifen und in der Ukraine, Vive la Trance politique in Frankreich, Deflationserscheinungen in der Eurozone und selbst Kratzspuren in der bisher teflonbeschichteten deutschen Volkswirtschaft. Wie soll man sich da als Kapitalmarktanalyst eigentlich erholen?

Urlaubs-Aufreger Ukraine-Krise

Über die Ukraine-Krise habe ich mich zwar aufgeregt. Dennoch blieb mir nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass die Diplomatie das Geschäft der Deeskalation beherrscht. Meinen Freunden in den USA, die ich im Urlaub auch getroffen habe, fällt es teilweise sehr schwer, in  Russland nicht nur den bösen Iwan zu sehen.  So sehr man sich das auch wünschen mag, aber einen lupenreinen demokratischen Präsidenten Russlands kann man sich nicht backen wie Donuts im Coffee Shop. Ohnehin darf man zu Recht hinter so mancher (schein-)moralischen Russland-Schelte durchaus eigennützige geostrategische Ambitionen der Amerikaner vermuten. Das hat meine Einsicht, dass eigentlich nur das konflikt- und krisenerprobte Europa über genügend soziale und emotionale Intelligenz verfügt, um dem Problem diplomatisch Herr zu werden, verstärkt. Und immerhin, die letzten deutschen und französischen diplomatischen Bemühungen machen Hoffnung, zumindest eine geopolitisch stabile Seitenlage hinzubekommen, die Kriseneskalationen vorbeugt. Nicht nur, um keinen handels- und wirtschaftspolitischen Scherbenhaufen zu hinterlassen, wird die Ukraine am Ende weder EU- noch Nato-Land werden können. Nennen wir es europäische Realpolitik.

Und wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt ein geldpolitisches Lichtlein her

War der Ukraine-Konflikt ein Urlaubs-Ärgernis für mich, sorgte allerdings das Treffen der Notenbanker im amerikanischen Jackson Hole zum Urlaubsende für Entspannung. Zunächst wurde mir in der Rede von Amerikas Mutti Janet Yellen erneut klar, welche Ängste sie vor dem Anziehen zinspolitischer Daumenschrauben hat. Nicht auszudenken, wenn man mit zu frühen Zinsaktionen das Pflänzchen der Konjunkturerholung zu früh dem Rasenmäher aussetzt.

Ihr Trauma ist die Zinserhöhungsorgie der Fed von 2004 bis 2006. Dabei ist zu bemerken, dass es nicht die Notenbankzinswende an sich war, die den weltweiten Aktienmärkten das Genick brach. Es war die Intensität der Zinssteigerungen von einem auf 5,25 Prozent. Denn damit wurde aus der steilen Zinsstrukturkurve - bei der die Renditen von länger laufenden US-Staatsanleihen höher als die US-Notenbankzinsen liegen und insofern ein investitionsfreundliches Zinsumfeld anzeigen - eine inverse. Damit war es nicht mehr attraktiv, kurzfristig teures Notenbankgeld in längerfristige Anlageformen wie Aktien anzulegen.

Über die inverse Zinsstrukturkurve ist neben der finanzwirtschaftlichen ebenso die realwirtschaftliche Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe der USA dramatisch eingebrochen. Die sich ab 2008 wieder zügig steil aufrichtende Zinsstrukturkurve hat schließlich 2009 die konjunkturelle Stimmung auch wieder schnell nach oben gedreht.

Und die Moral von der Geschicht, inverse Zinsstrukturkurven hat man lieber nicht.

Frau Yellen wird zwar die Zinsen im Frühjahr 2015 erhöhen, aber eben pingelig darauf achten, dass die Zinsstrukturkurve steil bleibt. Übrigens, die teilweise hysterische Aufregung über US-Zinserhöhungen erinnert mich ein wenig an den kreisenden Berg, der eine Maus gebar. Zinserhöhungen sind nicht zuletzt Ausdruck einer stabilen Konjunktur, höheren Unternehmensgewinnen und damit fundamental gestützten Aktienmärkten. So zeigen die Zinserhöhungszyklen von 1999 und 2004 deutlich, dass verhaltene Zinssteigerungen mit steigenden Aktienkursen einhergehen. Man darf es nur nicht übertreiben und Frau Yellen wird bestimmt nicht übertreiben.

Nach Beendigung moderater Zinserhöhungen wird die Finanzwelt Ähnliches sagen, wie das Kind mit gepflegten Zähnen beim Zahnarztbesuch: Mutti, es hat gar nicht wehgetan, er hat nicht gebohrt.

Lass das Mal den Papa machen, denn Papa macht das gut

Und jetzt zu Mario Draghi, der Vaterfigur der euroländischen Finanzwelt. Mit seiner Rede in Jackson Hole hat er selbst Frau Yellen die Show gestohlen. Als Anhänger der Spieltheorie wusste er genau, wie er die anderen Mitspieler an den Finanzmärkten beeinflussen kann. Zunächst befürwortete er zur Stärkung der Konjunktur mehr öffentliche Ausgaben, d.h. mehr Schulden in der Eurozone. Ihm ist zwar klar, dass er dabei mindestens bei Frau Merkel auf Granit beißen wird. Aber genau darum geht es ihm: Und bist du fiskalpolitisch nicht willig, brauche ich geldpolitische Gewalt. Er verschafft sich ein geldpolitisches Alibi, um die fiskalische Konjunkturlücke zu schließen. 

Und er weiß die Situation zu nutzen. Geschickt ist er von seinem vorab veröffentlichten Redetext abgewichen, was Notenbanker eigentlich nie tun. Er ergänzte, in der Eurozone seien die Inflationserwartungen deutlich zurückgegangen und dass die EZB alle verfügbaren Mittel einsetzen werde, um für mittelfristige Preisstabilität zu sorgen, auf gut Deutsch gegen Deflation vorzugehen.

Kann ein Notenbanker der Finanzwelt einen deutlicheren Wink mit dem Zaunpfahl geben, dass die EZB die Hand am Drücker von Anleihenaufkäufen hat?

Und siehe da, der Spieltheoretiker Draghi hat mit den Aktienuntergangspropheten erneut Katz und Maus gespielt. Die Kurse stiegen wieder rasant an. Liebe Mitspieler an den Finanzmärkten: Bei einem DAX unter 9.000 haben wir es offensichtlich mit strategischen Kaufkursen zu tun.

Und so hat der Urlaub doch noch ein versöhnliches, weil entspannendes Ende gefunden. Danke Mario, mein Urlaubs-Retter!

Foto oben: hxdbzxy/shutterstock.com

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