Asien kauft Europa gerade den Schneid ab und keinen interessiert es

Bernd Schmid · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Wer mich ein wenig kennt, der weiß, dass ich gerne über Dinge schreibe, über die man sonst wenig hört. Diese sollten gleichzeitig auch relevant sein. Eigentlich ist man es gewöhnt, über Relevantes an allen Ecken und Enden zu hören. Sollte man denken. Nicht in diesen Zeiten.

Wahrscheinlich hat es mit dem fast schon autistisch anmutenden Fokus von Medien und Politik auf das Kontrollieren der Anzahl positiv getesteter Menschen zu tun. Aber Nachrichten wie die Unterzeichnung des wohl größten Freihandelsabkommens der Geschichte - der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) - sollte man deswegen trotzdem nicht ausblenden. Gut, man hat darüber auch gehört. Aber ich finde, dass dem viel mehr Gewicht beigemessen werden sollte als bisher geschehen.

Das ist RCEP, das wohl größte Freihandelsabkommen der Geschichte

Genau das ist nämlich vor nicht einmal zwei Wochen von 15 Ländern unterzeichnet worden. Konkret von den zehn Ländern in der Vereinigung der südostasiatischen Länder (ASEAN) zusammen mit China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland.

Die Bruttoinlandsprodukte (BIP) dieser Länder bringen in Summe fast ein Drittel des weltweiten Bruttosozialprodukts von über 80 Billionen US-Dollar auf die Waage. Und in diesen Ländern lebt rund 30 % der Weltbevölkerung. Mit RCEP werden diese 15 Länder zur größten Freihandelszone der Welt.

Wer sich für die Details des Abkommens interessiert, der findet hier alle Informationen dazu. Das Abkommen scheint - sicher wenig überraschend - weniger einen Fokus auf Dinge wie Arbeitsrecht oder Umwelt zu haben als andere größere Freihandelsabkommen. Es ist wohl deutlich fokussierter auf die wirtschaftliche Komponente.

Und die hat es in sich. Man findet im Anhang der offiziellen Texte in Bezug auf Zollvereinbarungen für den Güterverkehr extrem viel 0 %. Laut dem Online-Portal der Deutschen Welle werden durch das RCEP 90 % aller asienweiten Schutzzölle abgeschafft.

Wissenschaftler rechnen damit, dass das RCEP bis 2030 mehr als 200 Milliarden US-Dollar zum weltweiten BIP hinzufügen wird. Das entspräche immerhin in etwa dem aktuellen BIP von Portugal, das die Welt in zehn Jahren durch das RCEP mehr hätte.

Was RCEP für europäische Unternehmen und damit uns Anleger bedeuten kann

Das Freihandelsabkommen wird wohl ziemlich sicher zu einer engeren Verzahnung der ostasiatischen Wirtschaft führen. Besonders interessant ist dabei, dass es nicht nur um die Wirtschaftsmacht China und die stark wachsenden und teilweise sehr bevölkerungs- und rohstoffreichen südostasiatischen Länder geht.

Mit dabei sind gemessen an deren jeweiligen Wirtschaft auch das drittgrößte Land der Welt Japan und das zehntgrößte Südkorea als auch das sehr rohstoffreiche Australien. Alles in allem klingt das nach einer sehr zukunftsfähigen Wirtschaftszone.

Mich erinnert das stark an die „Vision“ einer tripolaren Weltordnung des Investmentmanagers Jay Pelosky. Er argumentiert bereits seit Jahren, dass er in Zukunft anstatt einer weiteren Globalisierung eher eine Regionalisierung von Wirtschaftsaktivitäten sieht, grob aufgeteilt in die drei großen Blöcke Amerika, Europa und Asien. RCEP könnte endgültig den Weg dorthin geebnet haben.

Das wären für Europa wohl nur bedingt gute Nachrichten, und erst recht für das Exportland Deutschland. Man muss nur einen Blick auf die größten Technologieunternehmen der Welt werfen und zählen, wie viele aus jeder Region kommen.

Nun machen diese Internet- und Technologieriesen nicht alleine die zukünftige Wirtschaftsfähigkeit aus. Besonders in Deutschland haben wir weiterhin sehr viele großartige Technologien, vor allem aus der Industrie. Und diese dürften in Zukunft ebenfalls immer wichtiger werden.

Aber man darf in dieser Hinsicht auch Japan und Südkorea nicht unterschätzen. Darauf zu hoffen, dass der RCEP-bedingte, mögliche Wirtschaftswachstum in Asien auch einen Schub für Europa und insbesondere Deutschland bringen kann, da bin ich mir nicht so sicher.

Einzelne Unternehmen werden aufgrund ihrer technologischen Überlegenheit und Innovationskraft trotzdem am Ball bleiben. Für mich bedeutet das deswegen jedoch mehr denn je, dass ich mich als Anleger viel mehr auf die besten Aktien fokussieren würde, anstatt auf die Weiterentwicklung breiter Volkswirtschaften in Europa (zum Beispiel durch den Kauf von ETFs) zu setzen.

Genauso sehr würde ich als Anleger versuchen, noch mehr über den Tellerrand zu schauen. So groß die Risiken auch sind, wenn man im fernen Asien investiert, die Chancen sind ebenso groß oder noch größer - nicht zuletzt durch das gerade erst unterzeichnete RCEP.

Foto: tunasalmon / Shutterstock.com

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