Bafin zieht bei Wirecard die Reißleine – Sind Leerverkäufe wirklich die Wurzel allen Übels?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Causa Wirecard hält die Aktienmärkte mittlerweile seit Wochen auf Trab. Die durch mehrere kritische Berichte der „Financial Times“ verursachte Kurs-Achterbahnfahrt ist ein gefundener Spielplatz für Short-Seller. Gewesen! Denn die deutsche Finanzaufsichtsbehörde Bafin hat dem nun vorerst einen Riegel vorgeschoben. Ab sofort ist es bis zum 18. April verboten, neue Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien der Wirecard AG zu begründen oder bestehende Netto-Leerverkaufspositionen zu erhöhen.

Finanzbehörde hält die Sicherheitsbügel eng geschlossen

Es ist das erste Mal, dass die Bafin Leerverkäufe für eine Einzelaktie verbietet. Einen ähnlichen Vorfall hat es zuletzt während der Finanzkrise im Jahr 2008 gegeben, als die Behörde Leerverkäufe für 11 große Dax-Werte verboten hatte, darunter Papiere der Commerzbank, der Deutschen Bank, der Deutschen Börse und der Areal Bank.

Die Behörde begründet ihren Schritt mit dem potenziell entstehenden Risiko, dass die Verunsicherung des Marktes hinsichtlich einer angemessenen Preisbildung bei Wirecard-Aktien zunimmt und sich zu einer generellen Marktverunsicherung ausweitet.

Dieser extreme Eingriff der Bafin in den Aktienhandel ist ein Indiz für die große Sorge der Behörden um die derzeitige Situation der Finanzmärkte. Dass einem Einzelwert ein so enormer Einfluss auf das Gesamtbild zugeschrieben wird, auch wenn es ein Dax-Titel ist, zeugt von einer sehr engen Reißleine, die die Kontrollinstanzen derzeit angesichts schwächelnder Konjunkturdaten und der schwelenden Handelskonflikte zwischen den USA, der EU und China in der Hand halten.

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Welchen Einfluss haben Leerverkäufe auf den Markt?

Es ist nicht das erste Mal, dass Leerverkäufe als die Ursache negativer Marktentwicklungen bezichtigt werden. Die Wirecard AG selbst hatte bereits im Jahr 2008  und 2016 mit einem ähnlichen Vorfall zu kämpfen. Bereits damals war der Finanzdienstleister nach Einschätzung der Bafin zum Ziel sogenannter Short-Attacken geworden, bei denen Leerverkäufer im Zuge negativer Nachrichten durch das Eingehen von Leerverkaufspositionen profitiert haben. Diese hätten laut Bafin auch zu Kursrückgängen geführt.

Bereits nach der großen Depression, die 1929 von den US-Aktienmärkten ausgegangen war, wurden Leerverkaufe in den USA durch das Uptick-Gesetz eingeschränkt. Das Gesetz untersagte Leerverkäufe auf Aktien mit fallenden Kursen, der Leerverkauf war nur zulässig wenn die letzte Transaktion über dem vorherigen Kurs lag. Das Gesetz wurde jedoch im Jahr 2007 wieder aufgehoben. In der EU sind seit der Euro-Krise bestimmte Formen von Leerverkäufen verboten.

Wie funktionieren Leerverkäufe?

Bei einem klassischen Aktienkauf versucht der Anleger ein Wertpapier zu einem möglichst günstigen Preis zu erwerben und hofft, neben dem Vorteil einer Dividende, dass der Preis der Aktie langfristig steigt.

Bei einem Leerverkauf, oder auch Short-Sell, zielt der Anleger auf das genaue Gegenteil: Er verkauft die Aktie zu einem möglichst hohen Kurs und spekuliert darauf, dass die Aktie in einem möglichst kurzen Zeitraum stark an Wert verliert, damit er sie zu einem günstigen Preis wieder einkaufen kann. Die Differenz aus diesem Geschäft ist sein erzielter Gewinn.

Das Geschäft findet dabei statt, ohne dass die Aktie tatsächlich Eigentum des Verkäufers ist. Man muss bei Leerverkäufen zwischen gedeckten und ungedeckten Verkäufen unterscheiden:

Gedeckte Leerverkäufe

Bei gedeckten Leerverkäufen leiht der Spekulant sich die Aktie in Form einer Wertpapierleihe von einem anderen Marktteilnehmer mit der Vereinbarung, sie zu einem späteren Zeitpunkt zurückzugeben. Hier werden auch die Eigentumsrechte an der Aktie an den Leerverkäufer übertragen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sie an der Börse zu verkaufen. Für die Leihe muss zudem eine Versicherungsgebühr gezahlt werden.

Ungedeckte Leerverkäufe

Bei ungedeckten Leerverkäufen befindet sich die Aktie nicht einmal als Leihe im Besitz des Leerverkäufers. Er muss sich bis zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt mit der Aktie eindecken, um sie dem Gegenüber des eingegangenen Leerverkauf-Vertrags liefern zu können. Bei dieser Art des Leerverkaufs handelt es sich im Grunde um ein Lieferversprechen der Aktie für einen vorher festgelegten Zeitpunkt. Ungedeckte Leerverkäufe sind jedoch seit dem Jahr 2012 in der Europäischen Union verboten.

Während das Risiko bei dem klassischen Kauf einer Aktie maximal darin besteht, dass der Wert um 100 Prozent auf Null fallen kann, ist das Risiko bei Leerverkäufen potenziell um einiges höher. Der Wert der Aktie kann nach der Leihe, bzw. dem Abschließen des Leerverkaufvertrages, theoretisch bis ins Unendliche steigen und somit den Verlust des Leerverkäufers extrem in die Höhe treiben.

Sind Leerverkäufe so negativ wie ihr Ruf?

Leerverkäufe unter Generalverdacht zwielichtiger Absichten zu stellen, wie es teilweise in den Medien praktiziert wird, ist sicherlich der falsche Ansatz, denn sie erfüllen einige relevante Marktmechanismen.

Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hat für Leerverkäufe folgende generelle Funktionen zusammengefasst:

Sie leisten einen Beitrag zur effizienten Preisfindung von AktientitelnSie tragen zur Abmilderung von Blasenbildungen beiSie erhöhen die Liquidität am MarktSie können fördernd auf die Vermögensbildung wirkenSie ermöglichen Absicherungen von FondsSie können die Manipulation des Marktes durch künstliche Preiserhöhung limitieren

Leerverkäufe sind also ein essenzieller Teil des Finanzsystems, deren Struktur zwar auch Potential für Manipulation von Preisen birgt, jedoch auch genauso positive Mechanismen für den Markt beisteuert.

Von Alexander Mayer

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Titelfoto: MaxxiGo / Shutterstock.com

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