Börse Frankfurt-News: "Bullen wider Willen" (Marktstimmung)
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 17. Juni 2020. FRANKFURT Die steigenden Preise
treiben Anleger auf die Long-
Seite, mit begrenzter Nachhaltigkeit vermutlich.
Was zum Zeitpunkt unserer vergangenen Sentiment-Erhebung noch wie eine
überschaubare Korrektur der bis dahin fast drei Monate dauernden DAX-Rallye
aussah, sollte sich an den folgenden Tagen als heftige Gegenreaktion
herausstellen, die vorübergehend zu einem DAX-Verlust von rund 10 Prozent
führte. Denn plötzlich waren sie wieder da, die Sorgen über ein
Wiederaufflammen der Corona-Pandemie, verursacht durch angestiegene
Infektionsraten sowohl in China als auch in einigen Bundesstaaten der USA.
Umso beeindruckter dürften die Akteure von der starken Erholung des
Börsenbarometers seit Beginn dieser Woche sein: Stichtagsbezogen blieb gerade
einmal ein Verlust des DAX von 2,4 Prozent übrig.
Wie schwierig es allerdings für viele Akteure sein mag, das derzeitige
Marktumfeld psychologisch zu meistern, verrät die Umfrage unter
internationalen Fondsmanagern, deren Ergebnisse die Bank of America (BofA)
gestern veröffentlichte. Zwar ging die Kassenquote der Fondsmanager im Juni
gegenüber dem Vormonat von 5,7 auf 4,7 Prozent zurück, wobei die dabei
freigesetzte Liquidität vor allem den Aktienmärkten zugutegekommen sein
dürfte. Zumal die Investoren zum ersten Mal seit Februar dieses Jahres wieder
in Aktien übergewichtet waren. Aber gleichzeitig hielten in der vom 5. bis
11. Juni durchgeführten Befragung 78 Prozent der Investoren die Aktienmärkte
für überbewertet - das ist der höchste Prozentsatz seit 1998. Und so hat es
den Anschein, als seien die internationalen Fondsmanager nicht aus tiefer
Überzeugung bullish geworden, sondern weil sie bullish werden mussten:
Bearishe Positionierungen stellten sich als immer kostspieliger heraus,
obgleich es genügend handfeste Gründe für diesen Pessimismus gab. Kurzum: Es
muss sich wohl um eine Form von Kapitulation gehandelt haben.
Ein willkommenes Geschenk
Psychisch etwas einfacher dürften es dagegen die von uns befragten
institutionellen Investoren gehabt haben. Denn der deutliche Rücksetzer des
DAX in der vergangenen Woche muss für viele der Teilnehmer an unserer
Stimmungsumfrage geradezu ein willkommenes Geschenk gewesen sein. Denn trotz
aller Corona-Sorgen war die Abwärtskorrektur, die in der Spitze über 1000
Punkte seit unserer vergangenen Erhebung zeitigte, eine Einladung für viele
Pessimisten, ihre mittlerweile schal gewordenen bearishen Engagements wieder
einzudecken. Und so sprang unser Börse Frankfurt Sentiment-Index um 28 Punkte
nach oben auf einen Stand von -11. Dabei dürften insbesondere - wie von uns
in der Vorwoche vermutet - vor allem die Pessimisten der vergangenen drei
Wochen unterhalb der 12.000er Marke ihre Engagements fast überwiegend direkt
von "bearish" auf "bullish" gedreht haben. Mit anderen Worten: Die relativ
günstigen Kurse verführten zu Optimismus.
Ähnliches können wir auch für die Privatanleger vermelden. War der Börse
Frankfurt-Sentiment-Index dieses Panels vor einer Woche noch rekordverdächtig
pessimistisch, schoss er nun um 23 Punkte ebenfalls nach oben und erreicht
einen Indexstand von nur noch -3. Die Wanderungen vom Bären- ins Bullenlager
waren dabei ähnlich strukturiert wie bei den institutionellen Pendants.
Druck aus dem bearishen Kessel gelassen
Per Saldo lässt sich feststellen, dass also nicht nur die internationalen
Fondsmanager einen großen Teil ihrer vormals bearishen Engagements
zurückgenommen haben. Dies gilt vor allen Dingen für die Aktien der Eurozone,
die besonders gefragt waren. Was wir vor einigen Wochen bereits vermutet
hatten, wurde jetzt durch die BofA-Umfrage bestätigt: Dass die starke
Untergewichtung internationaler Fondsmanager bei europäischen Titeln
mittlerweile sogar in eine leichte Übergewichtung umgeschlagen ist. Davon hat
natürlich auch der DAX profitiert. Und viele heimische Investoren konnten
angesichts der im Vergleich zur Vorwoche viel günstigeren
Einstiegsmöglichkeiten ihre bearishen Engagements ohne Gesichtsverlust bzw.
materielle Nachteile in bullishe Positionen umwandeln.
Obgleich die Sentiment-Indizes beider Panels noch negative Werte aufweisen,
sind die Positionierungen im 3- bzw. 6-Monatsvergleich fast schon als
"neutral" zu bezeichnen. Damit ist die im März einst begonnene Rallye des DAX
noch nicht zwangsläufig beendet. Aber die ganz großen Schieflagen - auch
seitens der internationalen Fondsmanager - als Treiber besagter Hausse sind
nun beseitigt. Und sollte der DAX noch einmal über die 13.000 ziehen, dürften
die neuen Optimisten von heute ins Grübeln kommen, ob sie dem Aktienmarkt die
Treue halten oder doch besser solch hohe Indexstände für überzogen ansehen
und die dann aufgelaufenen Gewinne schnell wieder realisieren sollen. Es
spricht viel dafür, dass das Filetstück der DAX-Erholung bereits verzehrt
worden ist.
17. Juni 2020, © Goldberg & Goldberg für boerse-frankfurt.de
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die
Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder
anderen Vermögenswerten.)