CONTINENTAL IM FOKUS: Neuer Chef muss zahlreiche Probleme lösen

dpa-AFX · Uhr

HANNOVER (dpa-AFX) - Beim Autozulieferer und Reifenhersteller Continental treibt auch der neue Chef Nikolai Setzer den Umbau zum Technologie- und Softwarekonzern voran. Dass die Dividende für das vergangene Jahr ausfallen soll, wird die Arbeitnehmer kaum mit dem angestrebten Jobabbau der Hannoveraner versöhnen. Was beim Dax-Konzern rund um die Jahreszahlen diesen Dienstag (9. März) los ist, wie die Analysten den weiteren Weg sehen und was die Aktie macht.

DIE LAGE BEI CONTINENTAL:

Bei Conti schien wie auch bei anderen das Schlimmste der Covid-19-Pandemie im Tagesgeschäft überstanden. Doch aktuell stehen in vielen Ländern große Teile des öffentlichen Lebens still und niemand weiß, ob eine dritte Welle die vorsichtige derzeitige Lockerung der Maßnahmen nicht wieder umstößt.

Zudem hatte im dritten Quartal eine weitere Milliardenbelastung wegen Abschreibungen und Umbaukosten zu Buche geschlagen. Auch im Schlussquartal werden Sonderaufwendungen hinzukommen, weil Rückstellungen für Gewährleistungsfälle sowie Forschungs- und Entwicklungskosten höher ausfallen als erwartet. Am Ende werden - zum zweiten Mal nacheinander - rote Zahlen unter dem Strich stehen.

Immerhin gab sich Manager Setzer bei seiner ersten großen Präsentation auf dem Kapitalmarkttag im Dezember zuversichtlich für die Bereiche, die Conti künftig noch unter dem Konzerndach in eigener Hand hat. "Wir setzen künftig mit noch mehr Kraft und Mitteln auf unsere Wachstumsfelder und Zukunftstechnologien", sagte er. "Die Software macht den Unterschied."

Sichtbares Zeichen für den Umbruch weg von Mechanik hin zu neueren Technologien wird die Abspaltung der Antriebssparte mit dem Namen Vitesco sein, die dieses Jahr nun auch endlich durchgezogen werden soll. Die "alte" Conti teilt sich dann auf in die "neue" Conti mit Sensorik, Elektronik, Bremsen, Reifen und Kunststofftechnik, und auf der anderen Seite eben das Geschäft mit Antriebssträngen für Verbrenner und Elektromotoren.

Vitesco wird den Aktionären einfach ins Depot gebucht - wie sich der Marktwert der beiden Konzerne dann entwickelt, bleibt der Börse überlassen. Wann es genau soweit ist, steht noch nicht fest, im ersten Halbjahr wohl nicht mehr.

Auf Konzernebene strebt Setzer mittelfristig ein Wachstum aus eigener Kraft - also ohne Wechselkurseffekte und Zukäufe gerechnet - von fünf bis acht Prozent jährlich an. Die Antriebstechnik rechnet Conti hier schon nicht mehr dazu. Bei der um Sondereffekte bereinigten Gewinnmarge vor Zinsen und Steuern plant Conti mit acht bis elf Prozent.

In der dann verbleibenden Autozulieferung sieht Conti das stärkere Wachstum als in der Gummisparte (Reifen und Kunststofftechnik). Kein Wunder, war das Geschäft mit den Autoteilen doch auch deutlich stärker vom Einbruch der Automärkte in der Corona-Krise betroffen. Das Autozuliefergeschäft soll mit sieben bis elf Prozent durchschnittlichem Umsatzplus jährlich um zwei bis vier Prozentpunkte stärker zulegen als der Markt. Etwa bei Zentralrechnern für moderne Fahrzeuge rechnen sich die Hannoveraner gute Geschäft aus und bezifferten den Auftragsbestand mehrerer Hersteller auf zuletzt rund vier Milliarden Euro.

Der Gewinnbringer bleibt aber das Geschäft mit Reifen und Kunststofftechnik mit erwarteten operativen Margen von 11 bis 14 Prozent. Insbesondere in den Wachstumsmärkten Asien und Nordamerika will Continental bei den Reifen seine Marktanteile erhöhen.

Beim anvisierten Großumbau, der in den kommenden Jahren weltweit bis zu 30 000 der zuletzt knapp 234 000 Stellen im Konzern betreffen dürfte, soll es bleiben. Conti hat weiter sichtbar Mühe, an Einzelstandorten mit der Arbeitnehmerseite entsprechende Vereinbarungen zu schließen. Gewerkschaften werfen Conti vor, profitable Werke zu schließen, um die Arbeit in Niedriglohnländer zu verlagern.

Setzer nannte die eingeleiteten Schritte dagegen "einfach unabdingbar aufgrund der Transformation und aufgrund der Marktgegebenheiten". Conti will durch Umschulung und Weiterqualifizierung betroffene Mitarbeiter möglichst anderweitig einsetzen. Wie viele Stellen am Ende übrig bleiben, steht aber in den Sternen.

Der Sparkurs soll die laufenden Kosten senken und auf jährlicher Basis brutto gut eine Milliarde einsparen. Aber erst einmal wird er viel Geld verschlingen unter anderem für Abfindungen und Vorruhestandregelungen, für dieses und das kommende Jahr zusammengenommen 1,2 Milliarden Euro.

Schlussendlich rang sich der Konzern noch zu einer neuen Prognose für das Jahr 2020 durch. Der Umsatz dürfte bei rund 37,5 Milliarden Euro liegen und damit um gut 15 Prozent unter dem Vorjahr. Die um Sondereffekte bereinigte Gewinnmarge soll rund 3 Prozent erreichen nach 7,4 Prozent vor einem Jahr. Dass Conti entgegen anderen Branchenvertretern bisher nicht mit Eckdaten aufgewartet hat, werten Marktbeobachter als Zeichen, dass die Zahlen auch weitgehend so aussehen dürften wie zuletzt veranschlagt.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Laut dem von Conti selbst ermittelten Stimmungsbild unter Analysten dürften im Gesamtjahr knapp 37,7 Milliarden Euro Erlös erzielt worden sein. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern sollte demnach 1,37 Milliarden Euro betragen mit einer entsprechenden Marge von 3,6 Prozent. Das operative Ergebnis wäre damit im Jahresvergleich auf weniger als die Hälfte abgesackt. Unter dem Strich rechnen die Experten mit einem Fehlbetrag von 585 Millionen Euro, nachdem es im Vorjahr auch wegen Wertberichtigungen auf frühere Käufe ein Verlust von 1,23 Milliarden Euro gewesen war.

Wichtiger als der Blick zurück dürften für die Anleger aber ohnehin die Aussichten für dieses Jahr sein. Behalten die Experten recht, dann wächst der Umsatz auf rund 42,3 Milliarden Euro und das bereinigte operative Ergebnis legt auf 2,9 Milliarden Euro bei einer Marge von 6,9 Prozent zu. Auch netto würde dann ein Gewinn stehen von 1,7 Milliarden Euro.

Im kürzlich verkündeten Dividendenverzicht sahen viele Experten einen Versuch, die Wogen im Streit um die Arbeitsplätze zu glätten. Die Entscheidung sei wohl im Lichte der bedeutenden Umbaumaßnahmen im Konzern zu sehen, die auch Fabrikschließungen beinhalten, schrieb Jefferies-Analyst Sascha Gommel. Das Management und die Großaktionäre sähen die Dividendenstreichung wahrscheinlich als Zugeständnis vor dem Hintergrund der Entlassungen. An der Finanzkraft des Konzerns habe es aber wohl kaum gelegen.

David Lesne von der schweizerischen Großbank UBS sieht Continental als unterbewertet an. Er glaubt, dass die geplante Ausgliederung der Antriebssparte einen attraktiven Wert freisetzen wird und hält die neuen mittelfristigen Planziele, die bereits erhöhte Investitionen in das Zuliefergeschäft widerspiegelten, für glaubwürdig.

Vitesco traut er einen Wert von bis zu 27 Euro je Aktie zu - bei momentan im Conti-Aktienkurs eingepreisten 0 Euro. Mittelfristig sollte Conti zudem einen attraktiven freien Mittelzufluss (Free Cashflow) von ein bis zwei Milliarden Euro jährlich generieren, so Lesne.

Im Mittel sehen Analysten Luft nach oben für die Aktie. Das durchschnittliche Kursziel der 16 seit dem Kapitalmarkttag im Dezember im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten liegt bei knapp 137 Euro. Dabei raten neun zum Kauf der Papiere, sieben zum Halten. Eine Verkaufsempfehlung hält keiner für berechtigt.

DAS MACHT DIE AKTIE

Der Conti-Aktienkurs hatte mit dem Schub für die Aktienmärkte im November das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht und ist mittlerweile darüber hinaus gestiegen. Seit Dezember pendelt der Kurs um die Marke von 120 Euro. Im Corona-Tief Mitte März 2020 waren es nur wenig mehr als 50 Euro gewesen. Wer länger dabei ist, hat allerdings deutliche Kursverluste einzustecken: Im Januar 2018 erreichte die Aktie ihr Rekordhoch bei 257,40 Euro.

Seit damals ging es für das Papier bis zum Corona-Crash kontinuierlich nach unten. Trotz der Erholung der letzten Monate sind die Titel aktuell weniger als die Hälfte dessen wert, was Anleger Anfang 2018 zahlten. Ähnlich schwach sind in diesem Zeitraum nur die Aktien des Medizinkonzerns Fresenius und die des mit der Glyphosat-Krise ringenden Agrarchemie- und Pharmakonzerns Bayer .

Immerhin: Im Gesamtjahr 2020 fuhr das Conti-Papier trotz der Corona-Delle im Einklang mit der europäischen Autobranche ein kleines Plus ein. Konkret waren es bei Conti gut 5 Prozent nach zwei Verlustjahren in Folge. 46 Prozent der Conti-Aktien gehören seit dem missglückten Übernahmeversuch in der Finanzkrise 2008/09 der Industriellenfamilie Schaeffler , die den gleichnamigen fränkischen Auto- und Industriezulieferer kontrolliert.

Der Börsenwert von Conti liegt derzeit bei knapp 25 Milliarden Euro. Das bedeutet einen Platz im Mittelfeld des europäischen Branchenindex Stoxx Europe 600 Automobiles & Parts sowie des deutschen Leitindex Dax./men/mis/he

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