Corona-Krise trifft US-Fleischmarkt mit voller Wucht

Reuters · Uhr

- von Tom Polansek und P.J. Huffstutter

Chicago (Reuters) - Die Corona-Krise führt in der amerikanischen Fleischindustrie zu katastrophalen Verhältnissen.

Hunderttausende Schweine müssen dort wegen der Pandemie-Folgen derzeit notgeschlachtet werden, da zahlreiche Schlachthöfe geschlossen wurden. Branchengiganten wie Smithfield, Cargill, JBS USA und Tyson Foods lassen seit April auch die Arbeit in vielen Verarbeitungsbetrieben in Nordamerika ruhen. Laut Daten des US-Landwirtschaftsministeriums wurden zuletzt pro Tag in den US-Fleischbetrieben noch etwa 283.000 Schweine geschlachtet, 43 Prozent weniger als vor Beginn der Pandemie. Die Züchter stellt das vor schwere Entscheidungen. "Wo sollen wir hin mit den Schweinen, was sollen wir tun?", klagt etwa Al Van Beek aus dem Bundesstaat Iowa. Er fällte, wie er sagt, eine auch für ihn schwierige Entscheidung: Seinen trächtigen Säuen wurden Injektionen verabreicht, um die Ferkel abzutreiben.

US-Präsident Donald Trump forderte die Verarbeiter am Dienstag per Dekret auf, die Betriebe offen zu halten. Allein die Schließung eines Werkes könne dazu führen, dass es in den USA zehn Millionen Portionen Rindfleisch weniger pro Tag gebe, hieß es darin. Das sei nicht hinnehmbar. Solche Schließungen schwächten die landesweite Infrastruktur während des nationalen Notstands. Die Gewerkschaften kritisierten die Anweisung indes und erklärten, zunächst müsse die Sicherheit der Beschäftigten in den Betrieben verbessert werden. Schließlich hätten sich bislang schon mehr als 6500 Arbeiter in der Branche mit dem Virus infiziert, 20 seien gestorben. Zudem komme das Dekret zu spät, weil viele Tiere notgeschlachtet worden seien.

Züchter Van Beek und andere Landwirte sagen, sie hätten keine andere Wahl, als ihr Vieh zu töten. Ihnen fehle der Platz für die Unterbringung, Geld für die Fütterung oder beides. Die Krise ist auch auf die Schließung von Restaurants wegen der Pandemie zurückzuführen. Das brachte die Lagerhaltung an ihre Grenzen und zwang Landwirte zur Vernichtung vieler ihrer Produkte - auch etwa von Milch und Salat.

Bei den Tieren sind Schweine besonders betroffen. Im Gegensatz zu Rindern, die auf der Weide gehalten werden können, werden sie in temperaturgesteuerten Gebäuden gemästet. Wenn sie dort zu lange untergebracht sind, können sie zu groß werden und sich verletzen. Sie müssen aber geschlachtet werden, bevor neue Ferkel von Säuen eintreffen, die vor der Pandemie befruchtet wurden. Die Schweinezüchter werden nach Verbands-Angaben in diesem Jahr landesweit etwa fünf Milliarden Dollar verlieren.

In Iowa gehört der Landwirt Dean Mayer nach eigenem Bekunden zu einer Gruppe von Erzeugern, die die kleinsten fünf Prozent ihrer neugeborenen Schweine oder etwa 125 Ferkel pro Woche töten. Das werde so lange gehen, bis sich die Lage wieder normalisiere, sagt er. Die Kadaver werden zu Dünger verarbeitet. Getötet würden aber auch Mutterschweine, um ihre Anzahl zu verringern. Landesweit gibt es nach Angaben aus Iowa jede Woche 700.000 Schweine, die nicht verarbeitet werden können und notgeschlachtet werden müssen.

Die US-Regierung will ein Notfall-Koordinationszentrum einrichten, das Züchtern helfen soll, Abnehmer für ihre Tiere zu finden oder sie notzuschlachten und zu entsorgen. Im kürzlich von der US-Regierung angekündigten Hilfspaket im Volumen von 19 Milliarden Dollar für Landwirte sind aber keine Zahlungen für gekeulte Tiere vorgesehen.

Die US-Landwirtschaft, die in den vergangenen Jahren bereits unter extremen Wetterbedingungen, sinkenden Rohstoffpreisen und dem Handelskonflikt zwischen den USA und China zu leiden hatte, erlebt nun mit der Virus-Pandemie die nächste Krise. Aber dieses Mal geht es mehr als um Einkommensverluste. Die Folgen der Pandemie lassen die Verzweiflung in ländlichen Gemeinden wachsen. Die Landwirte sind von Scham und Trauer gezeichnet, wenn sie von der Tötung der Tiere berichten. Zwei Milchbauern in Wisconsin, die von ihren Abnehmern gezwungen wurden, die Milch zu entsorgen, erhielten kürzlich nach eigenen Angaben anonyme Morddrohungen. "Sie sagen: 'Wie kannst du es wagen, Essen wegzuwerfen, wenn so viele Menschen hungrig sind?", erklärt einer der beiden Landwirte. "Sie wissen nicht, wie die Landwirtschaft funktioniert. Das macht auch mir zu schaffen."

Der Schweinezüchter Mike Patterson aus Minnesota hat unterdessen begonnen, seine Schweine mehr mit Sojabohnenschalen zu füttern. Sie füllen den Magen der Tiere, haben aber einen vernachlässigbaren Nährwert, so dass die Tiere nicht zu groß für ihre Ställe werden. Aber auch er erwägt Notschlachtungen, da er nicht genügend Käufer findet. "Sie müssen anständig untergebracht werden. Wenn nicht genug Platz da ist, müssen wir weniger Schweine haben", sagt Patterson. "Auf die eine oder andere Weise müssen wir weniger Schweine haben."

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