Kutzers Zwischenruf: Europa muss USA und China die Muskeln zeigen

Hermann Kutzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Nicht erst seit den weltumspannenden Handelskonflikten, dem grotesken Gebaren des Ami-Presi und dem Brexit-Debakel stellt sich die Frage nach globalen Machtverschiebungen und ihren Folgen für Wirtschaft und Finanzmärkte. Als bekennender Europäer warne ich seit langem vor den europäischen Zerfallserscheinungen mit der Gefahr eines Absturzes der Gemeinschaft in die relative Bedeutungslosigkeit. Das würde auch die internationalen Kapitalströme umlenken. Konsequenz: Unseren Kapitalmärkten droht dann die Abseitsposition in den Augen großer Investoren. Deshalb finde ich die vorhin veröffentlichten Ergebnisse einer vom Münchner Ifo-Institut angeregten Diskussion unter Wissenschaftlern wirklich interessant. Thema: Die Konkurrenz um wirtschaftliche Dominanz: Wie kann sich Europa zwischen den USA und China positionieren?

Unumstritten, dass Chinas Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft die globalen Kräfteverhältnisse in den letzten Jahren verändert hat. Findet also eine Verschiebung der globalen Dominanz von West nach Ost statt? Und welche Möglichkeiten hat Europa, sich zwischen den USA und China zu positionieren?

Sinnvoll klingt die Empfehlung einer Wissenschaftlerin, für Europa stelle sich nicht die Frage nach einer einseitigen Positionierung. Die EU sollte vielmehr als Gegengewicht zu beiden Ökonomien agieren und ihre Potenziale als Initiator technologischer Innovationen und weiterer internationaler Integration ausbauen. Gerade hier, so befürchte ich, droht uns Europäern (weiterer) Bedeutungsverlust. Eine andere Forscherin empfiehlt „wechselnde Allianzen für verschiedene Ebenen“. Inzwischen reiche der Konflikt zwischen den USA und China weit über Handelsfragen hinaus und beinhalte ebenso das gesellschaftliche Werte- und das politische System. Deshalb brauche Europa eine selbstbewusste Mehrebenen-Strategie zur „Navigation durch den Wettbewerb der USA und Chinas“. Als die größte Herausforderung, diese umzusetzen, könnte sich der Umgang mit Informationen, der öffentlichen Meinung und sozialen Netzwerken erweisen.

Wissenschaftlich, aber allgemein nachvollziehbar klingt die Aussicht, Europa sollte in Zukunft ein „Kollektivsubjekt werden und als ein Akteur in der Weltwirtschaft und Weltpolitik die Prinzipien der europäischen Integration - Rechtlichkeit, Fairness, sozialen Ausgleich und Solidarität - vertreten. Ein Bonner Wissenschaftler sieht Europas Zukunft weder im Ausbau der Juniorpartnerschaft mit den USA noch im Kuschelkurs mit China. Auf weltpolitischer Ebene wäre es für Europa optimal, wenn Brüssel die gleiche Rolle wie Washington und Peking spielen würde. Um die Weltmächte in diese Richtung zu bewegen, brauche Europa allerdings eine wirkungsvolle Hebelkraft. Diese Kraft könnte sich entfalten, wenn Europa es wagen würde, den Weg einer „Äquidistanz“ (= gleich großer Abstand) zwischen Peking und Washington einzuschlagen.

Das liest sich zwar schön, aber ich zweifle noch, dass wir solche Hebelkraft entwickeln werden. Wie auch immer: Europa muss sich zusammenraufen, um den Großmächten falls erforderlich die Muskeln zeigen zu können. Langfristige Anleger können vor diesem Hintergrund ihr Aktienportfolio bewusst auf die drei Regionen aufteilen und sich dabei an den jeweiligen Stärken (Unternehmen, Branchen, Themen) orientieren.

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