Merkel plädiert für Dialog mit Polen - Frankreich skeptisch

Reuters · Uhr

Brüssel/Berlin (Reuters) - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem mutmaßlich letzten EU-Gipfel Dialog statt Konfrontation mit Ländern wie Polen angemahnt.

Nach heftigen Debatten zwischen den 27 EU-Staats- und Regierungschefs über die Rechtsstaatlichkeit sagte Merkel am Freitag zum Abschluss des Europäischen Rats in Brüssel, dass man die Streitthemen abschichten müsse. "Der polnische Ministerpräsident hat gestern sehr deutlich gemacht, dass er sich natürlich zu den europäischen Verträgen bekennt", betonte sie. Deutlich kritischer äußerte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: Man erwarte von Polen "konkrete Gesten", um den Konflikt zu lösen, sagte er.

Merkel verwies darauf, es gebe zwischen den Mitgliedstaaten generelle Differenzen, wer sich zu einer weiter fortschreitenden politischen Integration der EU bekenne und wer nicht. Das betreffe nicht nur Polen, betonte Merkel, die anders als einige andere Regierungschefs nicht für eine härtere Haltung gegenüber der nationalkonservativen polnischen Regierung plädierte. "Das Gespräch ist schon sehr, sehr wichtig gewesen", sagte sie nach dem EU-Gipfel. Sie habe eine breite Übereinstimmung dafür gefunden, dass man über die Entwicklung der EU reden müsse.

Auslöser für den aktuellen Streit ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, dass nationales Recht in Teilen über EU-Recht stellt. Zudem in der Kritik der EU stehen Justiz- und Medienreformen in Polen. Fest an der Seite der Regierung in Warschau steht Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. Neben Frankreich machten sich auf den Gipfel dagegen auch die Niederlande und Luxemburg für eine harte Haltung der EU stark. Es sei schwierig, sich vorzustellen, einem osteuropäischen Land EU-Geld zu geben, das die Gerichte unter die Kontrolle der Regierung stelle, sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. "Wir müssen hart sein." Belgiens Ministerpräsident Alexander De Croo sagte: "Wenn Sie die Vorteile eines Klubs nutzen wollen, müssen Sie auch die Regeln befolgen."

SORGE ÜBER EUROPA

Merkel äußerte sich in ihrer wohl letzten Pressekonferenz nach einem EU-Gipfel zugleich besorgt über den Zustand der Europäischen Union. Es gebe viele ungelöste Probleme, die die EU vor allem nach außen schwächten. Das betreffe Fragen der Rechtsstaatlichkeit, aber auch der Migration. Dazu komme der wirtschaftliche Druck, sagte Merkel und verwies vor allem auf den Aufstieg Chinas. "Europa ist nicht mehr der innovationsfreudigste Kontinent", kritisierte sie. "Die Baustellen für meinen Nachfolger sind groß."

Angesichts der Ambitionen von SPD, Grünen und FDP in Berlin, eine neue Bundesregierung bereits in der Woche vom 6. Dezember zu bilden, könnte der zweitägige EU-Gipfel der letzte der Kanzlerin gewesen sein. Merkel nahm in den 16 Jahren Amtszeit an 107 EU-Gipfeln teil. Der nächste Europäische Rat ist für den 16. und 17. Dezember geplant. Daran würde dann schon Olaf Scholz als Bundeskanzler teilnehmen, sollte die neue Bundesregierung bis dahin stehen.

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