Wasserstoff: „Champagner“ unter den Energieträgern oder ist der Hype um Nikola, Nel, PowerCell und Ballard Power mittlerweile zu groß?

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Der Hype um Wasserstoff scheint keine Grenzen zu kennen. Deutschland stellt in seinem neuen Konjunkturpaket 9 Milliarden Euro für die Förderung der Technologie bereit und hat sich auf die Fahne geschrieben, weltweit die Nummer 1 im Bereich Wasserstoff zu werden. Bundesforschungsministerin Karliczek will in den heimischen Gefilden ein „Cape Caneveral des Wasserstoffes“ errichten.

Die Bundesrepublik gehört auch zu den 9 EU-Staaten, die von der Europäischen Union eine Strategie zum Umgang mit der klimafreundlichen Energiequelle fordern. Die EU soll einen Fahrplan für den Ausbau von Wasserstoff-Energie mit Zielen bis 2030 und darüber hinaus formulieren. Damit könnten den Unternehmen aus der Branche weitere Förderungen in Milliardenhöhe winken, aber ist Wasserstoff wirklich das Allheilmittel für den Klimawandel?

Experten sind sich einig – ohne Wasserstoff geht es nicht

Bis 2050 möchte bis Deutschland „klimaneutral“ sein. Das hört sich noch ganz weit weg an, aber für eine Umstellung Richtung emissionsfreie Zukunft, wird die Zeit schon eher knapp. Wenn in 30 Jahren Fabriken produzieren, Autos und Lkw fahren, Flugzeuge fliegen und Heizungen laufen sollen, ohne dass zusätzliche Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen, dann ist dafür ein enormer Sinneswandel und Kraftakt notwendig. Die Experten sind sich sicher:  Es reicht nicht für das hohe Ziel nicht Kohlekraft durch Windräder und Solaranlagen zu ersetzen und E-Autos auf die Straße zu bringen. Für das Attribut „klimaneutral“ braucht es eine weitere Technologie – Wasserstoff als Energieträger.

Wie Wasserstoff das Klima retten soll:

Wenn weniger Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre gelangen soll, muss weniger Kohle, Erdöl und Erdgas verbrannt werden. Nicht immer kann Strom aus Wind, Sonne oder Biomasse fossile Brennstoffe so direkt ersetzen, wie wenn ein E-Auto mit Strom statt mit Sprit fährt. Hier könnte Wasserstoff die Lösung sein. Chemie-Interessierte kennen den Vorgang. Vereinfacht erklärt: Wasserstoff entsteht zum Beispiel durch Elektrolyse von Wasser, das in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Dafür braucht es elektrischen Strom.

Der gewonnene Wasserstoff kann dann Brennstoffzellen betreiben, für zum Beispiel schwere Transportmittel, wie Brummis, Schiffe oder auch PKW. Aus Wasserstoff können gasförmige und flüssige Kraft- und Brennstoffe gemacht werden. Man spricht dabei oft von Power-to-X: Aus Strom = Power, entsteht etwas anderes, X. Und er speichert Energie, was wichtig ist, wenn der Strom komplett aus Erneuerbaren kommen soll.

Das Farbenspiel beim Wasserstoff - Nicht jede Form ist Umweltfreundlich

Je nachdem, aus was Wasserstoff gewonnen wird und woher der Strom kommt, gibt es unterschiedliche Namen:

# Grüner Wasserstoff entsteht mit erneuerbaren Energien aus Wasser und ist der Liebling der Klimaschützer.

# Grauer Wasserstoff dagegen wird aus fossiler Energie hergestellt, etwa aus Erdgas. Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen rund 10 Tonnen CO2 – kein guter Deal für das Klima.

# Blauer Wasserstoff verdient seine Bezeichnung, wenn das CO2 gespeichert wird, also nicht in die Atmosphäre gelangt. Die Methoden dafür sind allerdings umstritten.

# Türkiser Wasserstoff wird aus Methan gewonnen.

Die Pläne der Bundesregierung

Der Bund hat schon viele Hundert Millionen Euro in die Forschung zum Wasserstoff gesteckt, weitere, milliardenschwere Förderprogramme laufen. Im großen Konjunkturpaket gegen die Corona-Krise wurde die Wasserstoff-Strategie mit als erstes angegangen. Es sind 7 Milliarden Euro für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien vorgesehen und 2 Milliarden für internationale Partnerschaften. Eines ist nämlich jetzt schon klar. Egal wie sehr Deutschland auf die Tube drückt bei dem Thema, längerfristig wird so viel Wasserstoff gebraucht, dass die Bundesrepublik ihn nicht alleine produzieren kann – allein schon wegen der enormen Strommengen, die dafür notwendig sind.

Bis 2030 sollen in Deutschland Erzeugungsanlagen von bis zu fünf Gigawatt Gesamtleistung entstehen, heißt es in der Strategie, samt der dafür notwendigen zusätzlichen Ökostrom-Anlagen, vor allem Windräder auf See. Das soll etwa ein Siebtel des erwarteten Bedarfs decken. Der Rest muss importiert werden. Die SPD, aber auch das CDU-geführte Forschungsministerium wollten doppelt so viel Kapazität.

Das „Henne-Ei-Problem“

Ziel ist es, neben der Förderung von Investitionen auch einen Markt für Wasserstoff zu schaffen, damit Unternehmen überhaupt im großen Stil auf Wasserstoff-Produktion setzen. Denn bisher ist oft die Rede von einem „Henne-Ei-Problem“: Es ist nicht genug Wasserstoff da, um ihn anzuwenden – und es gibt nicht genug Nachfrage, um in die Produktion einzusteigen.

Mögliche Anreize

Im Gespräch ist unter anderem eine Quote für Kerosin, also Flugzeug-Treibstoff, in Höhe von mindestens zwei Prozent für das Jahr 2030, oder eine Quote für klimafreundlichen Stahl. Beschlossen ist das aber nicht. Die Produktion von grünem Wasserstoff soll zudem über eine Befreiung von der Ökostrom-Umlage gefördert werden, die Bürger mit der Stromrechnung zahlen.

Wo dringend Abhilfe geschaffen werden muss

Klar ist, dass etwa die Stahl-, Chemie- und Zementbranche ihn braucht, um CO2-Emissionen zu drücken. Auch „Teile des Wärmemarkts“ hat die Regierung „im Blick“, wie es in der Strategie heißt. Und wie sieht es beim „Klimaschutz-Sorgenkind“ Verkehr aus? „Sowohl im Luft- als auch im Seeverkehr sind für die Dekarbonisierung klimaneutrale synthetische Kraftstoffe erforderlich“, heißt es in der Strategie. Das bezweifelt keiner, auch Brennstoffzellen in Bussen, Zügen und Lkw sind ziemlich unstrittig.

Der Satz „Auch in bestimmten Bereichen bei PKWs kann der Einsatz von Wasserstoff eine Alternative sein“, kommt dagegen bei Umweltschützern eher schlecht an: Sie werfen der Branche vor, nicht auf batterieelektrische Fahrzeuge umsteigen zu wollen, in denen Strom effizienter genutzt wird als über der Wasserstoff-Umweg. Allerdings sind die deutschen Autobauer hier schon fast abgestiegen von ihrem hohen Ross. Tesla macht es vor und VW ist schon komplett auf Elektrifizierung seiner Flotte umgestiegen. BMW und Daimler ziehen Stück für Stück nach. Wasserstoff spielt hier allerdings noch nicht die ganz große Rolle. Unter den weltweiten Autobauern haben aktuell nur Toyota und Hyundai PKW mit Brennstoffzelle im Angebot. Hier gibt es ein ähnliches „Henne-Ei-Problem“! Was sollte zuerst da sein. Ein ausreichendes Netz an Wasserstoff-Tankstellen oder genügend Brennstoffzellen-Autos, die ein Ausbau des Netzes erforderlich machen?

Der amerikanische Wasserstoff-Truck-Spezialist Nicola Corporation ist dieses Problem jetzt angegangen und hat bei seinem langjährigen norwegischen Partner Nel 6 Wasserstoff-Tankstellen im Wert von über 30 Millionen Dollar für die USA bestellt. 2021 sollen die ersten Wasserstoff-Trucks vom Band rollen.

Die Börsen sind schon voll im Wasserstoff-Fieber

Wasserstoff ist auch an den Finanzmärkten ein ganz heißes Eisen. Trotz Corona-Pandemie sind die Aktienkurse von vielen Unternehmen, die den Energieträger Wasserstoff produzieren, speichern oder verteilen, deutlich angezogen. Auch die Hersteller von Brennstoffzellen, die zur Wandlung von Wasserstoff in elektrische Energie gebraucht werden, waren sehr gefragt. In einer nachhaltigen Energiewirtschaft werde Wasserstoff eine wesentliche Rolle im Verkehr und auch bei der Speicherung alternativer Energien spielen, schrieb der Forschungsverbund „Erneuerbare Energien“.

Das Geschäft mit Elektrolyseuren brummt

Der Börsenwert des norwegischen Wasserstoffspezialisten Nel etwa stieg in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als 230 Prozent auf umgerechnet rund 2,4 Milliarden Euro. Bei dem britischen Hersteller von Wasserstoff-Energieanlagen ITM Power steht gar ein Plus von 800 Prozent zu Buche. Auch der nicht so groß bekannte französische Konkurrent von Nel, McPhy Energy, hat seinen Kurs seit Jahresanfang verdoppelt. Getrieben wurden die Kurse nicht zuletzt durch die vielen neuen Fördertöpfe der Regierungen.

Brennstoffzellen mangelt es auch nicht an Interessenten

Die Kurse der Brennstoffenzellenhersteller Powercell aus Schweden , Ceres Power aus Großbritannien und Ballard Power aus Kanada haben sich in diesem Zeitraum verdreifacht. Bei allen Werten ist aber zu beachten, dass die Marktkapitalisierung mit Werten von umgerechnet zwischen rund 1 Milliarde und 2,5 Milliarden Euro immer noch sehr gering ist. Experten warnen zudem immer wieder auch vor Rückschlagpotenzial. Allerdigs waren in der Vergangenheit größere Rücksetzer bei den Wasserstoff-Titeln immer eher eine Chance, als ein Risiko.

Nikola Corporation verdeutlicht den Hype

Mit umgerechnet 25 Milliarden Euro deutlich höher bewertet ist der Elektrofahrzeug-Hersteller und Tesla-Rivale Nikola aus den USA. Das Unternehmen will nicht nur mit elektrisch angetriebenen Lkws, sondern auch mit Brennstoffzellen-Pickups Geld verdienen. Noch allerdings verzeichnet das Unternehmen keine nennenswerten Umsätze. Immerhin sollen Ende Juni die ersten Fahrzeuge bestellbar sein. Trotzdem ist die Aktie in diesem Jahr regelrecht explodiert. Als die Amerikaner ihre Börsenpläne veröffentlichten und bekanntgaben mit dem bereits an der Börse gelisteten Unternehmen Vectoiq zu fusionieren gibt es mit dem Papier, dass mittlerweile und dem Name Nikola Corporation gehandelt wird allein in diesem Jahr rund 500 Prozent in die Höhe und Cheflenker Trevor Milton verkündete stolz via Twitter, dass der Truckbauer an der Börse mehr wert ist, als die beiden renommierten Autobauer Ford oder Fiat-Chrysler. Bei bislang Null produzierten Brummis oder Pick-Ups ist das eine mehr als stolze Leistung und zeigt wie viel Vertrauen und Vorschusslorbeeren Investoren bereit sind im Bereich Wasserstoff zu vergeben.

Konservative Varianten lassen sich auch finden

Wer das Risiko scheut, der kann über Standardtitel wie Air Liquide oder Linde  in das zukunftsträchtige Thema investieren. Die beiden Industriegaskonzerne produzieren unter anderem auch Wasserstoff. Da die beiden Unternehmen mit einem Börsenwert von 60 Milliarden Euro beziehungsweise 100 Milliarden Euro deutlich schwergewichtiger sind, sind hier die Chancen allerdings deutlich geringer – aber immerhin zählten beide Titel in den vergangenen zwölf Monaten mit einem Kursplus von 20 Prozent (Air Liquide) und 10 Prozent (Linde) zu den besten Standardaktien in Frankreich und Deutschland. Auch den Börsengang der Siemenstochter Energy sollten Anleger im Auge behalten. Er dürfte auch eine ausbaufähige Portion Wasserstoff enthalten. Auch Cummins Inc., ein US-amerikanischer Hersteller von Diesel- und Gasmotoren mit Hauptsitz in Columbus im US-Bundesstaat Indiana, ist ein Wert für die Watchlist. Die Amerikaner haben mit der Übernahme des Wasserstoff-Spezialisten Hydrogenics den Hype in der Branche erst richtig entfacht, sind danach allerdings etwas in Vergessenheit geraten und die Aktie liegt auch seit Jahresanfang fast 10 Prozent im Minus, da richtig gute Nachrichten zu dem Thema aktuell Fehlanzeige sind.

Obwohl Thyssenkrupp nicht gerade unter eine konservative Variante für das Thema fällt, sei der Vollständigkeit halber auch erwähnt, dass der Essener Mischkonzern und RWE auch planen sich ein Stück vom Wasserstoff-Kuchen abzuschneiden. Allerdings holen sich die Anleger mit der Thyssen-Aktie neben der Wasserstoff-Fantasie auch noch ganz andere Probleme ins Depot. Zudem ist auch nicht abzusehen, wie erfolgreich sich die Sparte entwickelt wird.

Klein aber fein?

Unter den deutschen Nebenwerten werden immer wieder die Aktien von 2G Energy und SFC Energy  als mögliche Profiteure eines potenziellen Wasserstoffbooms genannt. So zogen die Papiere des Brennstoffzellenherstellers SFC Energy Anfang Juni deutlich an, liegen aber immer noch leicht unter dem Niveau, das sie vor einem Jahr hatten. Zudem hat das Analysehaus Warburg Research  SFC Energy nach der Kursrally der vergangenen Wochen von „Hold“ auf „Sell“ abgestuft und das Kursziel auf 10 Euro belassen. Der Anstieg der Marktkapitalisierung des Herstellers von Brennstoffzellen um 80 Millionen Euro sei damit etwa auf das anderthalbfache der Umsätze in 2020 gewachsen und erscheine übertrieben, schrieb Analyst Malte Schaumann in seiner Studie. Die Bewertung mit dem 40-fachen des für 2022 erwarteten operativen Ergebnisses sei zu ambitioniert.

Mit rund 250 Millionen Euro bringt der Kraftwerbetreiber 2G Energy, dessen Anteile ihr Jahresplus in den vergangenen Tagen auf fast 50 Prozent ausbauten, etwas mehr auf die Waage. Wer indes als Anleger lieber breiter gestreut investieren will, kann auf börsengehandelte Indexfonds oder Zertifikate ausweichen.

Von Markus Weingran / dpa-AFX

Foto: petrmalinak / Shutterstock.com

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