Wirecard: Achterbahnfahrt geht weiter – Treibt „Short Squeeze“ Aktie Richtung 200 Euro?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Für Anleger mit schwachen Nerven sind die Papiere des Bezahldienstleisters immer noch nichts. Auch heute geht die Berg- und Talfahrt der Aktie fleißig weiter. Im frühen Dienstagshandel schossen die Anteile des Zahlungsabwicklers in der Spitze zunächst um fast 10 Prozent hoch bis auf 126,20 Euro. Im weiteren Verlauf des Handelstages schwankte der Kurs dann sehr stark zwischen 116 und fast 123 Euro. Zeitweise lag die Aktie nur noch fast 1 Prozent Plus und erholte sich danach wieder Stück für Stück.

Chart Wirecard – Intraday

Bafin sorgt für mehr Vertrauen unter den Anlegern

Die Finanzaufsichtsbehörde hatte am Montag Spekulanten den Wind aus den Segeln genommen, die auf einen fallenden Wirecard-Kurs setzen wollen. Für etwa zwei Monate ist es nun verboten, neue Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien der Wirecard AG zu begründen oder bestehende Netto-Leerverkaufspositionen zu erhöhen. Die Aktie reagierte auf die Anordnung Montag mit einem Kursplus von über 15 Prozent.

Ist die Finanzbehörde über das Ziel hinausgeschossen?

„Ein generelles Verbot von Leerverkäufen für Aktien sollte es nicht geben, denn das wäre ein direkter Eingriff in die Funktionalität der Märkte und könnte zu einer Reduzierung der Handelsvolumina an den Börsen führen“, gibt Analyst Jochen Stanzl vom Handelshaus CMC Markets zu Bedenken. „Die Preisfindungsfunktion der Börsen wäre beeinträchtigt.“ Es sei aber durchaus richtig, bei Verdacht auf Marktmanipulation Leerverkäufe in einer Aktie zeitweise zu verbieten.

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Ein Novum, dass auch eins bleiben sollte?

Es ist das erste Mal, dass die Bafin Leerverkäufe für eine Einzelaktie verbietet. Einen ähnlichen Vorfall hat es zuletzt während der Finanzkrise im Jahr 2008 gegeben, als die Behörde Leerverkäufe für 11 große Dax-Werte verboten hatte, darunter Papiere der Commerzbank, der Deutschen Bank, der Deutschen Börse und der Areal Bank. Die Behörde begründet ihren Schritt mit dem potenziell entstehenden Risiko, dass die Verunsicherung des Marktes hinsichtlich einer angemessenen Preisbildung bei Wirecard-Aktien zunimmt und sich zu einer generellen Marktverunsicherung ausweitet. Hätte das wirklich passieren können?

Der Mobile-Payment-Spezialist ist mit einer Gewichtung von 1,8 Prozent kein Schwergewicht im Dax. Vergleicht man die Kursentwicklung von Wirecard und dem deutschen Leitindex, dann lässt sich auch kein sehr großer negativer Ausschlag finden, der auf das Papier des Bezahldienstleister zurückzuführen ist. Vielleicht wollte die Bafin den „Short-Sellern“ einfach eins auswischen und hat es eben in dieser Formulierung verpackt.

Zeitpunkt verwundert ein wenig

Ist die Bafin ist im vorliegenden Fall eingeschritten, ohne vorher abschließend geklärt zu haben, ob Wirecard auch seine Sorgfaltspflichten ausreichend erfüllt hat? Zumindest wird dies bezüglich der Vorgänge in Singapur von einigen Stellen bzw. Aktionären bezweifelt. Für Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hätte Wirecard früher zu Werke gehen müssen: „Da hätte es meines Erachtens nach mindestens einer Adhoc-Meldung bedurft - oder zumindest einen Hinweis im Risikobericht im Geschäftsbericht im Abschluss beispielsweise.“ Aus diesem Grund prüft die deutsche Schutzvereinigung Klagemöglichkeiten gegen den Dax-Konzern.

Warum ist Wirecard erst so spät in die Offensive gegangen?

Das der Bezahldienstleister aus Aschheim ein beliebtes Angriffsziel für Short-Seller ist, dürfte sich mittlerweile auch bis in die Chefetage von Wirecard rumgesprochen haben. Das die Untersuchungen in Singapur erneut Raum bieten das Geschäftsmodell von Wirecard unter Beschuss zu nehmen, dürfte ebenfalls klar gewesen sein. Hätte der Vorstand die Vorfälle selbst veröffentlicht, dann wäre einigen Spekulationen hinsichtlich Geldwäsche oder Bilanzfälschungen schon von vornherein der Wind aus den Segeln genommen worden. Die Kursauschläge wären wahrscheinlich um einiges kleiner ausgefallen. Wesentlich weniger Vertrauen wäre verspielt worden.

Bafin hat gesprochen – Punkt

Im vorliegenden Fall muss die Behörde sicherlich einen schwierigen Spagat hinlegen, um allen Seiten gerecht zu werden. Die schwierigste Frage stand dabei wohl am Anfang der Entscheidungsfindung. Liegt eine gezielte Marktmanipulation vor? Wirecard hat mit den Untersuchungen in Singapur und dem Umgang damit eine Angriffsfläche geschaffen. Jeder Finanz-Journalist, der die Fakten zuerst aufgedeckt hätte, wäre damit an die Öffentlichkeit gegangen. Dieser Punkt spricht eher gegen eine Short-Attacke.

Der Weg in die Medien ist dagegen die Kehrseite der Medaille.

Wäre der Financial-Times-Journalist Dan McCrum Wirecard wohlgesonnen, dann hätte er vielleicht vor der Veröffentlichung seiner Informationen eine Stellungnahme des Dax-Konzerns zu den Anschuldigungen eingeholt. Damit wäre aber die Exklusivität seines Berichts und vor allen Dingen die Marktwirkung des Artikels in Gefahr geraten. Dies spricht klar dafür, dass der Financial-Times Journalist den Kurs gezielt unter Druck setzen wollte. Sollte McCrum zudem andere Personen im Vorfeld des Artikels informiert haben, wäre dies ein weiteres Indiz dafür. Die Bafin scheint wohl dieser Ansicht gefolgt zu sein und hat jetzt mit dem Verbot von weiteren Leerverkäufen das ganze Spektakel beendet und die „Short-Seller“ wohl unter Druck gesetzt.

Kurs wieder Richtung 200 Euro?Jochen Stanzl vom Handelshaus CMC Markets geht jedenfalls davon aus, dass bei Wirecard nun die Hedgefonds unter Druck stehen. Der Experte hält einen heftigen „Short Squeeze“ für denkbar, der den Kurs des Papieres sogar kurzfristig wieder an die 200-Marke heranführen könnte und damit an das Rekordhoch von 199 Euro aus dem September 2018.

Eingriff der Bafin als Warnung?

Wollte die deutsche Finanzaufsichtsbehörde mit ihrem Eingriff ein Warnsignal senden, dass sie bei zukünftigen Short-Angriffen auf deutsche Aktien genauso oder vielleicht sogar schon früher einschreitet?  Den Fall aufzuarbeiten und strafrechtliche Folgen zu erwirken, dürfte mit Sicherheit sehr schwierig werden, da ja auch in jedem einzelnen Fall nachgewiesen werden muss, dass der „Short-Seller“ tatsächlich im Vorfeld informiert worden ist.

Auch dem Financial-Times Journalisten Dan McCrum einen gezielten Angriff auf Wirecard nachzuweisen, dürfte ein sehr schwieriges Unterfangen werden. Vielleicht wollte die Bafin angesichts dieses langwierigen und schweren Nachspiels mal im Vorfeld ein Zeichen setzen.

Von Markus Weingran

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Bild: Sergey Ryzhov/Shutterstock.com

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