Wirecard: Kooperation mit IKEA ausgeweitet – Hört sich toll an, aber ist es das auch?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Der Bezahldienstleister aus Aschheim veröffentlicht heute die nächste Nachricht: „Wirecard ermöglicht den Launch von IKEAs erstem Online-Shop in Thailand.“ Nach Singapur und Malaysia wird die Zusammenarbeit mit dem schwedischen Möbelhaus auf das dritte Land in Asien erweitert. Hört sich zunächst gut an. Allerdings gibt es bei dieser Nachricht eine Frage, die sich auch bei vielen anderen Kooperationserweiterungen oder Neukunden stellt. Was bleibt unterm Strich bei Wirecard hängen? Wie lukrativ ist das Geschäft?

Wie viele Thailänder kaufen online bei Ikea

und wie viel verdient Wirecard an jeder Transaktion? Siemens zum Beispiel vermeldet heute einen Auftrag aus Russland über 1,1 Milliarden Euro. Evotec berichtet heute über eine Finanzspritze von umgerechnet 21 Millionen Euro von der Bill & Melinda Gates Foundation. Das sind griffige Beispiele. Wirecard hingegen berichtet nur wie sich der Online-Handel in Thailand entwickelt:

„Online-Shopping wird in Thailand immer beliebter. Derzeit gibt es vor Ort 39,8 Millionen E Commerce-Nutzer, und diese Zahl soll bis 2022 auf rund 45,3 Millionen weiter steigen. Ein starker Anstieg der Gesamtzahl der Internetnutzer, die Verbreitung von E-Commerce Plattformen und eine verbesserte Lieferlogistik haben zu einem regelrechten E-Commerce Boom in dem südostasiatischen Land geführt. Im Jahr 2018 betrug der Gesamtumsatz im E Commerce in Thailand rund 3,3 Milliarden Euro, wobei die drei wichtigsten  Einkaufskategorien Unterhaltungselektronik und -Medien, Mode sowie Möbel und Haushaltgeräte sind.“

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Hört sich ebenfalls gut an, ist aber für die Einnahmenseite von Wirecard weiterhin sehr schwammig. Ist das unterm Strich beabsichtigt? So verfehlen zum Beispiel Tweets von Cheflenker Markus Braun nicht ihre Wirkung, wenn er schon vor dem Quartalsbericht, von außerordentlich guten drei Monaten spricht, denn nur der Vorstand kann wirklich einschätzen, wie die Geschäfte laufen.

Die Kehrseite der Medaille

Kritische Zeitungsberichte haben den Wirecard-Aktionären in den vergangenen Monaten immer wieder Kopfschmerzen bereitet. Das ganz große Vertrauen in das Geschäftsmodell ist immer noch bei den Investoren vorhanden. Zuletzt hat das wieder ein Breicht des Handelsblattes unter Beweis gestellt. Obwohl Wirecard sehr gut ins neue Geschäftsjahr gestartet ist, waren die Anleger erneut verunsichert.

Der Blätterwald rauschte gewaltig

Die ersten Monate 2019 waren stürmisch für Wirecard. Zuerst erhob die Wirtschaftszeitung „Financial Times“ Vorwürfe unter anderem wegen Unregelmäßigkeiten bei einigen Mitarbeitern in Singapur. Die Konzernspitze musste letztlich Fehler und „Qualitätsmängel“ in der Buchhaltung einräumen – wenn auch in geringerer Höhe als in den „FT“-Berichten suggeriert.

Dann brachte das „Handelsblatt“ das Unternehmen aus Aschheim bei München mit Betrügern in Verbindung: Eine Bande mutmaßlicher Anlagebetrüger in Wien und Sofia soll einen beträchtlichen Teil ihres Zahlungsverkehrs über die Wirecard Bank abgewickelt haben. Gegen Wirecard wird allerdings nicht ermittelt. Wirecard erklärte Ende Mai, dem Kunden sei bereits frühzeitig gekündigt worden. Solche Zusammenhänge erinnern Aktionäre vielleicht an die Anfangszeiten des Unternehmens, als Wirecard vor allem mit Porno- und Glücksspielanbietern Geschäfte machte. Erst Ende letzter Woche erschien wieder ein „FT“-Bericht, in dem es um ähnliche Vorwürfe wie im „Handelsblatt“ ging, jedoch bei einem Kunden in den USA.

Die Vorwürfe gegen das Unternehmen führten in den letzten Monaten zu mehreren drastischen Kurseinbrüchen an der Börse. Zeitweise verlor die Wirecard-Aktie über 30 Prozent ihres Werts. Im April erstattete die Finanzaufsicht Bafin Anzeige bei der Münchner Staatsanwaltschaft, weil die Vermutung im Raum steht, dass Wirecard Opfer einer gezielten Attacke von Börsenspekulanten wurde. Die Ermittlungen dauern derzeit weiter an. Die Bafin vermutet, dass es sich um eine „Short-Attacke“ handelte – ein gezieltes Manöver von Spekulanten, die auf fallende Kurse wetten.

Abgesehen von diesen Turbulenzen hat der Konzern durchaus positive Nachrichten zu bieten und gibt ständig die Zusammenarbeit mit neuen Händlern bekannt. Das wirkt sich auch auf das Kursziel und die Einschätzungen der Analysten aus. Gerade erst hat Konzernchef Markus Braun angekündigt, dass er ein „herausragendes“ erstes Halbjahr erwartet. Im Mai kündigte das Management an, die Zahlungsabwicklung im Online-Shop der Optikerkette Apollo zu übernehmen. Am Montag verkündete das Unternehmen, die Zahlungsabwicklung von Thailands erstem Ikea-Online-Shop zu übernehmen.

Der asiatische Markt bleibt fest im Visier

Vor allem der asiatische Markt ist derzeit für Wirecard interessant: Die Verbraucher dort sind besonders aufgeschlossen gegenüber mobilem Bezahlen. Das wollen sich auch europäische Händler zunutze machen. Deshalb hat die schwedische Warenhauskette NK Wirecard beauftragt, sie für die wichtigsten mobilen Zahlungsmethoden aus China auszurüsten. Wirecard arbeitet auch mit den Bezahldiensten Alipay und WeChat Pay zusammen, um chinesischen Touristen das Zahlen in Europa zu ermöglichen.

„Da China eines der größten Tourismus-Herkunftsländer der Welt ist, ist es für europäische Händler unerlässlich, die Technologie einzusetzen“, sagt Wirecard-Vertriebsmanager Fredrik Neumann. Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens Nielsen bezahlten im vergangenen Jahr rund 60 Prozent der chinesischen Touristen auf Auslandsreisen mit ihrem Smartphone.

Zudem peilt das Wirecard-Management für das zweite Halbjahr eine ausgeweitete Kooperation mit dem Messenger-Dienst und Whatsapp-Rivalen Telegram an – womöglich, um über dessen Plattform Online-Zahlungen zu ermöglichen. Das alles stimmt Konzernchef Braun positiv. Erst vor wenigen Wochen hatte er seine Gewinnprognose für das laufende Jahr leicht angehoben: Er erwartet jetzt ein Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 760 bis 810 Millionen Euro. Das wäre ein Gewinnwachstum von bis zu fast 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Analysten trotz aller Berichte auf der Seite von Wirecard

Trotz heftiger Vorwürfe gegen das Unternehmen in mehreren Zeitungsberichten bleiben die Analysten weitgehend positiv gestimmt. DZ-Bank-Analyst Harald Schnitzer begründet seine Haltung damit, dass sich im Disput zwischen Wirecard und dem „Handelsblatt“ bisher nicht absehen lasse, wer Recht behält. Von den 17 Analysten, die ihre Einschätzung seit Anfang 2019 aktualisiert haben, raten 13 zum Kauf der Wirecard-Aktie. Ein Analyst empfiehlt das Papier zu halten, drei plädieren für einen Verkauf. Im Schnitt schreiben sie der Aktie mit Blick auf die kommenden zwölf Monate ein Kursziel von rund 190 Euro zu. Das wäre ein ordentlicher Aufschlag von rund 30 Prozent auf den aktuellen Kurs.

Analyst Knut Woller von der Baader Bank traut dem Dax-Konzern noch einiges mehr zu, genauso wie sein Kollege Robin Brass von der Privatbank Hauck & Aufhäuser. Beide sehen in der Kooperation mit dem japanischen Softbank-Konzern großes Potenzial. Experte Woller schätzt, dass die abgewickelten Volumina und Umsätze von Wirecard dank Softbank um bis zu zehn Prozent zulegen könnten.

Besonders negativ fiel dagegen der Blick der Citigroup aus: Mit einem Kursziel von nur 100 Euro rät das Bankhaus zum Verkauf. Der Markt verkenne die Risiken aus den Vorwürfen sowie den laufenden Untersuchungen in Singapur gegen den Zahlungsabwickler, schrieb Analyst Josh Levin. Das Analysehaus Independent Research bezweifelt, dass Wirecard sein hohes Umsatz- und Ergebniswachstum längerfristig halten kann.

Die Berg- und Talfahrt der Aktie

Vom bisherigen Rekordhoch von 199 Euro aus dem vergangenen September, kurz vor dem Aufstieg in den Dax, ist das Wirecard-Papier zwar noch weit entfernt. Aber nach dem Zwischentief von 86 Euro Anfang des Jahres erholt sich die Aktie langsam mit kleinen Unterbrechungen. Im Mai stieg ihr Kurs zwischenzeitlich wieder über 160 Euro, bevor er nach dem Handelsblatt-Bericht Ende Mai wieder auf rund 130 Euro einbrach. Doch seitdem geht es erneut aufwärts. Allerdings bleibt der Kurs zuletzt noch unter 150 Euro.

Vorstandschef Braun ist mit einem Anteil 7 Prozent größter Aktionär des Unternehmens. Mit einer Marktkapitalisierung von zuletzt knapp 18 Milliarden Euro ist der Zahlungsabwickler an der Börse inzwischen wieder mehr wert als die Commerzbank (rund 8 Mrd Euro) oder die Deutsche Bank (rund 13 Mrd Euro).

Von Markus Weingran

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Foto: Homepage Wirercard

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