Teil-Evakuierung von Rafah - Anzeichen für israelische Offensive

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- von Mohammad Salem und Nidal al-Mughrabi

Rafah (Reuters) - Israel hat eine Teil-Evakuierung der Stadt Rafah angeordnet und bereitet damit offenbar die Offensive auf die letzte Hochburg der Extremisten-Organisation Hamas im Gazastreifen vor.

Dafür sprachen am Montag auch Luftangriffe auf die mit Flüchtlingen überfüllte Grenzstadt. Das israelische Militär forderte die Zivilisten in den östlichen Stadtteilen auf, sich im Rahmen eines Einsatzes "von begrenztem Ausmaß" in "humanitäre Gebiete" zu begeben. Der israelische Armee-Rundfunk meldete, die Evakuierung konzentriere sich auf einige Randbezirke. Deren Bewohner würden zu Zeltstädten in die nahe gelegenen Städte Chan Junis und Al-Muwassi geleitet. Hamas-Funktionär Sami Abu Suhri sagte, die Evakuierungs-Aufforderung sei eine "gefährliche Eskalation, die Folgen haben wird". Ein Angriff auf Rafah werde kein "Picknick" für Israels Armee werden, erklärte die Hamas.

In Rafah haben geschätzt mehr als eine Million Palästinenser Zuflucht vor dem seit sieben Monaten tobenden Krieg in dem abgeriegelten Küstengebiet gesucht. Augenzeugen zufolge verließen erste Familien Rafah bereits kurz nachdem sie von der Evakuierungsanordnung gehört hatten. Bewohner berichteten, sie seien telefonisch zum Verlassen ihrer Unterkünfte aufgerufen worden. Das israelische Militär forderte Zeugen zufolge zudem mit Textbotschaften in arabischer Sprache und Flugblättern dazu auf, sich in eine etwa 20 Kilometer entfernte humanitäre Zone zu begeben. Augenzeugen zufolge sind diese Gebiete jedoch bereits überfüllt. Es gebe dort kaum noch Platz für zusätzliche Zelte. "Es regnet stark und wir wissen nicht, wo wir hin sollen", schilderte ein Flüchtling in einer Chat-App der Nachrichtenagentur Reuters die Lage. "Ich hatte befürchtet, dass dieser Tag kommen wird. Ich muss jetzt sehen, wo ich meine Familie hinbringen kann."

Hilfsorganisationen warnen seit langem vor einem humanitären Kollaps: "Rafah mit über einer Million Flüchtlinge jetzt noch zu evakuieren, ist nicht nur unrechtmäßig, sondern wird auch katastrophale Konsequenzen haben", erklärte die britische Hilfsorganisation ActionAid.

VERHANDLUNGEN FESTGEFAHREN

Dass jetzt die Aufforderung zur Evakuierung kam, begründete Israels Verteidigungsminister Joaw Gallant mit den festgefahrenen Verhandlungen über eine Waffenruhe und die daran geknüpfte Freilassung weiterer Geiseln, die die Hamas festhält. Ein militärisches Vorgehen in Rafah sei notwendig, weil sich die Hamas den Vermittlungen verweigert habe, erklärte Gallant.

Am Wochenende hatten ägyptische und katarische Vermittler in Kairo mit einer Delegation der Hamas über eine mögliche Feuerpause verhandelt. Im Laufe der Gespräche wurde jedoch klar, dass sowohl die Hamas als auch Israel, das nicht direkt in Kairo vertreten war, auf ihren teils gegensätzlichen Positionen beharren. Die Hamas fordert einen vollständigen Abzug Israels aus dem Gazastreifen und dass eine Waffenruhe letztlich in ein Ende des Kriegs münden muss. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lehnt das kategorisch ab. Einem ägyptischen Sender zufolge wurden die Gespräche zusätzlich durch einen Hamas-Raketenangriff auf einen Grenzübergang in der Nähe von Rafah erschwert. Drei israelische Soldaten wurden dabei getötet.

Israel droht seit Monaten mit einer Bodenoffensive auf Rafah. Die Stadt bildet nach Einschätzung des Militärs die letzte große Bastion der Hamas. Tausende Kämpfer der Palästinenser-Organisation und womöglich auch Dutzende Geiseln werden dort vermutet. Ein Sieg im Gaza-Krieg ist laut Armee ohne die Einnahme von Rafah nicht möglich. Gleichzeitig war es aber das Militär, das die Bevölkerung ursprünglich dazu aufgefordert hatte, sich nach Rafah zu begeben, um dort vor den Kämpfen im Rest des dicht besiedelten Küstengebiets sicher zu sein.

ISRAEL WIRFT HAMAS VERWEIGERUNGSHALTUNG VOR

Nicht zuletzt wegen der verheerenden Bedingungen in Rafah ist Israel international auch bei seinen Verbündeten - selbst den USA - in die Kritik geraten. Zahlreiche Staaten haben Israel aufgefordert, auf die Offensive zu verzichten - auch weil immense Opferzahlen befürchtet werden. US-Regierungskreisen zufolge will Präsident Joe Biden am Montag noch einmal mit Netanjahu sprechen. Bereits jetzt sind nach palästinensischen Angaben in dem Krieg mehr als 34.600 Palästinenser gestorben.

Die Bundesregierung sprach von einer Katastrophe mit Ansage. "Diese Menschen brauchen Schutz", sagte eine Sprecherin des Außenministeriums. Gleichzeitig betonte sie, dass die Hamas im Gazastreifen ein zynisches Spiel spiele, unter anderem weil sie Hilfslieferungen angreife. Außerdem halte die Miliz weiter Geiseln fest.

Auslöser des Kriegs war ein Massaker von Hamas-Kämpfern im Süden Israels am 7. Oktober. 1200 Menschen wurden dabei nach israelischen Angaben getötet und mehr als 250 Geiseln genommen. Israel startete daraufhin seine Militäroffensive, in deren Folge der Gazastreifen zum großen Teil in Schutt und Asche gelegt wurde. Eine kurze Feuerpause gab es bislang nur Ende November. Dabei wurden mehrere Geiseln im Austausch gegen palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen freigelassen. Allerdings befinden sich immer noch etwa 130 Geiseln in der Hamas-Gewalt.

(geschrieben von Christian Rüttger, Markus Wacket.; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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