Merkel pocht auf rasches Brexit-Verfahren – Streit über Schäubles EU-Pläne

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

„So schnell wie möglich“. Kanzlerin Merkel möchte rasche Verhandlungen mit Großbritannien über den EU-Austritt. Für Aufregung sorgen indes Pläne aus Schäubles Finanzministerium.

Bundeskanzlerin Angela Merkel dringt auf möglichst rasche Verhandlungen mit Großbritannien über einen Austritt aus der EU. Es liege zwar an der britischen Regierung, zunächst ihre Absicht offiziell zu erklären. Sie wünsche sich aber, “dass dies so schnell wie möglich geschieht”, sagte Merkel nach dem zweitägigen EU-Gipfel am Mittwoch in Brüssel.

Zum Verfahren sagte die Kanzlerin, der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs, müssten nach Artikel 50 des EU-Vertrages die Leitlinien für das Austrittsverfahren verabschieden. An dem dann folgenden Prozess seien EU-Kommission und EU-Parlament beteiligt. Die Kommission werde dabei “mit ihrem Sachverstand eine zentrale Rolle spielen.”

Ein künftiger Zugang Großbritanniens zum Binnenmarkt, so bekräftigte Merkel, sei nur möglich, wenn London die “vier Grundfreiheiten” bestätige. Dies meint den freien Verkehr von Personen sowie von Waren, Dienstleistungen und Kapital.

Wirtschaftliche Folgen schwer abzuschätzen

Die Brexit-Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft sind für Merkel indes kaum voraussehbar. “Ich glaube, dass man heute nicht genau ermessen kann, wie sich die Dinge auswirken”, so Merkel. Für die Handelsbeziehungen sei das Referendum eine “schwierige Situation”. Es komme darauf an, welche Stellung Großbritannien künftig zum europäischen Binnenmarkt einnehme.

Nach Einschätzung des Chefs der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, dürfte sich der britische EU-Austritt spürbar auf die Wirtschaft in der Eurozone auswirken. Er rechnet mit einem um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte geringeren Wachstum in den kommenden drei Jahren.

Schäubles EU-Pläne sorgen für Streit in Berlin

Uneinigkeit herrscht in der Bundesregierung unterdessen darüber, welche Konsequenzen aus dem “Brexit”-Votum der Briten gezogen werden sollte. Reformpläne aus dem Bundesfinanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) zur Zukunft der EU und der Euro-Zone stoßen in der SPD auf Widerstand. In dem Arbeitspapier von Beamten wird laut “Handelsblatt” vorgeschlagen, stärker auf die Durchsetzung von Reformen und Sparmaßnahmen zu drängen.

Nach Berichten des “Handelsblatts” erwägt das Finanzministerium ein “Rückweisungsrecht” für Haushaltsentwürfe von Euro-Staaten, die EU-Defizitvorgaben nicht einhalten. Dieser Vorstoß wird schon länger diskutiert. Die Umsetzung sogenannter länderspezifischer Empfehlungen könnte an die Vergabe von EU-Strukturfondsmitteln gekoppelt werden.

Für die Überwachung der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten wird laut “Handelsblatt” eine unabhängige Behörde statt eines Kommissars vorgeschlagen. Auch sollte die EU-Kommission verkleinert werden. Der Euro-Rettungsfonds ESM könnte aufgewertet und zu einem Europäischen Währungsfonds entwickelt werden. Die Bankenaufsicht könnte wieder von der EZB herausgelöst werden.

SPD-Vize Schäfer-Gümbel warnte: “Noch mehr Spardiktat und stumpfe, einseitige Austeritätspolitik führen nur zu einer weiteren Abkehr von der Europäischen Union”. Nötig seien stattdessen solides Haushalten und zugleich kräftige Investitionen in die Zukunft. Schäfer-Gümbel warf Schäuble vor, “das letzte bisschen Vertrauen in Europa” zu verspielen.

OnVista/dpa-AFX
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