Warum falsche Entscheidungen so wichtig sind

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo, Leute! Kann einem ein Aktienindex die Laune verderben? Er kann. Ich stelle mir gerade einen engagierten Privatanleger vor - nennen wir ihn kurz Udo -, der zum Jahresbeginn eingestiegen ist (nachdem er den größten Teil des vorherigen Kursaufschwungs verpennt hatte). Trotz des Medienjubels „Marke von 10.000 Punkten geknackt“ musste der Aktien-Fan bisher vergeblich darauf warten, dass der Index dauerhaft im fünfstelligen Bereich bleibt und dann immer neue Höhen erklimmt. Udo beginnt zu hadern. Als Handelsblatt-Leser stößt er am Freitag auf die Schlagzeile „Russland belastet“. Am Montag steht „Große Verunsicherung“ über dem Börsenbericht. Und am gestrigen Dienstag schließlich legen die Finanzjournalisten „Düstere Stimmung“ nach. Abends wundert sich Udo nicht schlecht, dass er auf der Telebörse-Onlineseite die Überschrift „Dax genießt sonnigere Höhen“ lesen kann und schickt mir eine Wut-Mail: „Ich fühle mich vom Dax verarscht! Was empfehlen Sie?“

Anderen wird’s ähnlich gehen wie Udo, dem ich als Antwort meine bekannt optimistische, aber zunehmend vorsichtige Einschätzung der Kursaussichten skizziere. Dass so viele Bundesbürger die Schnauze voll haben von der Börse („Hören Sie mir bloß auf mit Aktien!“) ist nicht zuletzt die Folge von schlechten Erfahrungen aufgrund falscher Entscheidungen. Nur: Die meisten Menschen lernen nix daraus und treffen nach den schlechten Erfahrungen erneut falsche Entscheidungen - zum Beispiel sein Geld aufs Sparbuch zu legen. Dazu fällt mir eine Anekdote eine, die sich so oder ähnlich (angeblich) vor knapp 100 Jahren in Berlin abgespielt haben soll.

Ein junger Wirtschaftsjournalist begegnet auf der Straße einem berühmten und hochgeachteten Privatbankier (nicht Banker!), den er schon immer mal interviewen wollte, von dessen Büro er aber keinen Termin bekam. Freudig-erregt zieht er einen Notizblock aus dem Sakko und spricht den Bankier an: „Nur eine Frage, bitte: Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?“ Der Bankier bleibt stehen und antwortet: „Nun, dafür brauche ich nur zwei Worte – richtige Entscheidungen.“ Dann will er weiter gehen. Der Journalist hakt aber nach. „Entschuldigen Sie, bitte, aber da drängt sich mir die Anschlussfrage auf, wie man richtige Entscheidungen trifft.“ „Das kann ich sogar mit einem einzigen Wort erklären“, erwidert der Bankier mit gelangweilter Miene: „Erfahrung“. Der Redakteur notiert „Mit Erfahrung trifft man richtige Entscheidungen“, gibt aber noch keine Ruhe: „Bitte, wirklich die allerletzte Frage: Wie sammelt man Erfahrung?“ Der greise Privatbankier wendet sich jetzt milde lächelnd dem jungen Mann zu und sagt mit leiser Stimme: „Für die Antwort auf diese Frage brauche ich wieder zwei Worte - falsche Entscheidungen.“

Was sollten wir daraus lernen? Betrachten wir falsche Entscheidungen doch als wichtig und setzen die Erfahrung ein, um möglichst richtige Entscheidungen zu treffen. Was Udo jetzt macht, weiß ich natürlich nicht. Ihr, meine Freunde, habt aber hoffentlich schon genug Erfahrung gesammelt.  boersenfuchs@onvista.de

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