Brexit: Alles wieder zurück auf Null?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Es gab einmal Zeiten, da haben Politiker nach schallenden Ohrfeigen Konsequenzen gezogen und sind abgetreten. Diese Zeiten scheinen allerdings vorbei. Was hat Theresa May nicht alles schon ertragen. Die krachende Niederlage bei der Abstimmung zum Brexit-Deal ist nicht der erste Schuss vor den Bug der britischen Premierministerin. Zuvor gab es ein schon Misstrauensvotum aus den eigenen Reihen, dann musste die Abstimmung zum ausgehandelten Vertrag ins neue Jahr verschoben werden und jetzt hat Oppositionschef Jeremy Corbyn ein Misstrauensvotum gegen die Regierung auf den Weg gebracht und sammelt zusätzlich Unterschriften für eine Neuwahl. Eins muss man Theresa May lassen, sie hat ein dickes Fell.

Rücktritt keine Option

Die britische Premierministerin will trotz der heftigen Niederlage mit ihrem Brexit-Deal nicht zurücktreten. Dass sagte ein Regierungssprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. May will sich bereits an diesem Mittwoch dem Misstrauensantrag der Opposition stellen. Allerdings kein schwerer Schritt. Die eigene Partei wollte zwar nicht geschlossen dem Vertrag zustimmen, aber sie möchte weiter regieren. Damit dürfte das Ergebnis des Misstrauensantrags ebenfalls schon vor der Abstimmung feststehen.

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Was will das Unterhaus eigentlich?

Die Labour Partei scheint aktuell eher einen Sturz von Theresa May zu favorisieren als eine Lösung für den Brexit herbeizuführen zu wollen. Nach überstandenem Misstrauensantrag will die britische Premierministerin parteiübergreifende Gespräche führen. Vielleicht wird danach ja klar, was das britische Unterhaus eigentlich will und ob ein Kompromiss mit der EU überhaupt möglich ist. Bis dahin darf wieder fleißig spekuliert werden, wie es weiter gehen könnte. 4 Szenarien stehen dabei hoch im Kurs:

(1 )Misstrauens Antrag geht durch - Neuwahlen

Für die Märkte wäre das sicherlich nicht die unangenehmste Situation. Damit würden die Karten noch einmal neu gemischt werden und ein neuer Verhandlungspartner könnten dem ganzen Szenario vielleicht neuen Schwung verleihen. Sollte die Labour-Partei eine neue Regierung stellen, würde die Unsicherheit allerdings weiter hoch bleiben, da sich die Opposition noch nicht klar zu ihren Plänen geäußert hat. Es wird aber angenommen, dass die Partei wohl lieber in der Zoll-Union bleiben würde. Sollte sich dieser Weg dann herauskristallisieren, dann würde das die Aktien-Märkte sicherlich antreiben. Die Wahrscheinlichkeit für diesen Weg ist aber eher gering, da Theresa May bei der heutigen Abstimmung den Rückhalt ihrer Partei hat und auch schon die DUP angekündigt hat die Premierministerin zu unterstützen.

(2) Erneutes Referendum

Die britische Premierministerin könnte ihre Landsleute noch einmal abstimmen lassen, ob das Vereinte Königreich in der EU bleiben möchte oder nicht. Laut einigen Umfragen könnte sich mittlerweile eine Mehrheit der Briten für einen Verbleib in der EU aussprechen. Allerdings wird die Zahl der Befürworter auf gerade einmal 51 Prozent geschätzt. Eine Abstimmung wäre somit wieder eine ganz knappe Angelegenheit. Sollte sie aber positiv ausgehen, wäre das Thema vom Tisch und die Märkte würden dieses Ergebnis sicherlich mit überschwänglichen Kursgewinnen feiern. Allerdings hat sich Theresa May und ihre Partei immer gegen diesen Weg ausgesprochen, um das Land nicht weiter zu zerreißen. Nach der gestrigen Abstimmung wittern zwar einige Experten wieder Morgenluft unter Theresa May dürfte dieser Weg allerdings versperrt sein. Lediglich ihre Abwahl könnte diese Tür wohl öffnen.

(3) Entscheidung wird verschoben

Auch wenn Theresa May gebetsmühlenartig betont, dass Großbritannien am 29. März die EU verlassenen wird, glaubt aktuell wohl keiner so recht daran. Vielmehr rechnen die Märkte aktuell damit, dass Großbritannien zu einem späteren Zeitpunkt die EU verlässt. Allerdings will Theresa May bereits am kommenden Montag, sofern sie dann noch Premierministerin ist, schon einen Plan B präsentieren. Damit könnte der Ball auch wieder schnell bei der EU landen. Allerdings hat die ja auch schon betont, dass kaum Spielraum für weitere Kompromisse besteht. Daher bleibt abzuwarten wie Plan B aussieht und ob er bis zum 29. März dieses Jahres umzusetzen ist.

(4 )Harter Brexit

Ein Szenario, dass sich alle Beteiligten nicht wünschen. Ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der EU würde nicht nur wirtschaftlich schwere Folgen haben. Er würde die Aktien-Märkte in Angst und Schrecken versetzen, da immer noch nicht abzuschätzen ist, was dann alles auf die Wirtschaft zukommt. Die Bank of England rechnet zum Beispiel damit, dass das Pfund in diesem Fall um 25 Prozent abwerten könnte. Wie die DPA heute berichtet ist der Pharma- und Chemiehandel mit der Insel schon 2018 um etwa 10 Prozent eingebrochen. Trotzdem wird er „harte Brexit“ gerade als der wahrscheinlichste Ausgang rumgereicht. Das dürfte aktuell allerdings noch unter den Begriff Säbelrasseln fallen, damit ein wenig Panik entsteht und sich beide Seiten noch einmal bewegen. Die Märke gehen jedenfalls nicht von einem ungeregelten Ausstieg Großbritanniens aus, sonst würden sie anderes reagieren.

Eine kurze Umfrage der Deutschen Presseagentur unter Ökonomen zeigt ebenfalls, dass ein „harter Brexit“ noch in weiter Ferne ist:

Peter Dixon, Analyst Commerzbank:

„Das britische Parlament hat den EU-Austrittsvertrag mit einer noch deutlich größeren Mehrheit abgelehnt als dies erwartet worden war. Nach dieser historischen Niederlage Theresa Mays hat die Labour-Opposition einen Misstrauensantrag gegen die Regierung eingebracht, den diese heute aber vermutlich überstehen wird. Um in der Brexit-Frage Zeit zu gewinnen, dürfte der Brexit-Termin verschoben werden. Am Ende läuft es auf einen ungeordneten Brexit oder eine zweite Volksabstimmung hinaus. Wir halten einen ungeordneten Brexit weiter für das weniger wahrscheinlichere Szenario.“

Stefan Kreutzkamp, Chief Investment Oficer DWS:

„So erwartet eindeutig Theresa Mays Niederlage im Parlament war, so offen und vieldeutig bleibt der weitere Brexit-Prozess. Die Abstimmung brachte keinen wirklichen Fortschritt. Welchen neuen Wurf Theresa May nach überstandenem Misstrauensvotum dem Parlament am Montag genau präsentieren möchte, ist uns ein Rätsel. (…) Es bleibt in unseren Augen damit weiterhin alles möglich. Insbesondere auch Neuwahlen, eine Verlängerung der Frist für Artikel 50 oder auch ein zweites Referendum.“

Alexander Krüger, Chefökonom Bankhaus Lampe:

„Das britische Parlament hat den Brexit- Deal abgeschmettert. Die Regierung dürfte nun einen späteren Austrittstermin beantragen und vor allem auf eine Lösung des Grenzproblems auf der irischen Insel dringen. Ein weicher Brexit ist somit immer noch möglich. Unter der aktuellen Unsicherheit dürfte das Wirtschaftsgeschehen nun aber stärker leiden.“

Die Lage ist ernst aber nicht hoffnungslos

Alle Beteiligten bereiten sich zwar auf einen „harten Brexit“ vor, doch so wirklich will ihn niemand. Sollte Theresa May nächste Woche nicht mit aberwitzigen Forderungen um die Ecke, dürfte das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen sein. Allerdings wird die Zeit wirklich knapp. Eine Verlängerung der Frist hat die EU zwar angeboten, aber Theresa May will davon nicht wissen. Für sie steht immer noch der 29. März als Austrittstermin fest. Dafür muss sich die britische Premierministerin jetzt aber auch bewegen.

Von Markus Weingran

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Bild: RRA79 / Shutterstock.com

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