Wirecard: Was sind schon zwei Wochen – Aktie reagiert relativ gelassen auf erneute Verschiebung des Abschlussberichts für 2019

onvista · Uhr

Was schlechte Nachrichten aus dem Hause Wirecard angeht, so scheinen die Anleger mittlerweile ein recht dickes Fell entwickelt zu haben. Vorbörslich lag das Papier zwar schon etwas mehr als 6 Prozent im Minus, aber mittlerweile hat sich der Verlust deutlich verringert und die Aktie liegt nur noch etwas mehr als 1,5 Prozent im Minus. Bei Wirecard scheint es nur zwei Wege zu geben. Entweder man trennt sich von der Aktie auf nimmer Wiedersehen oder man nutzt jeden Rücksetzer aus. Anders dürfte es einfach nicht mit dem Wert funktionieren. Es ist nämlich weiterhin fraglich, ob die erneute Verschiebung des Jahresabschlusses für das vergangene Jahr wirklich die letzte schlechte Nachricht aus Aschheim ist.

Was sind schon zwei Wochen?

Die Veröffentlichung soll nun am 18. Juni statt wie zuletzt geplant am 4. Juni erfolgen, wie das Unternehmen am späten Montagabend in Aschheim mitteilte. Auch die Hauptversammlung soll später als bisher geplant über die Bühne gehen. Nach wie vor konnte der reguläre Wirtschaftsprüfer Ernst & Young nicht alle Prüfungshandlungen abschließen. Das Unternehmen erwartet aber weiter ein uneingeschränktes Testat und keine wesentlichen Abweichungen zu den bereits veröffentlichten vorläufigen Zahlen.

Wegen der Zweifel an den Geschäftspraktiken des Zahlungsdienstleisters hatte Wirecard eine Sonderprüfung der Bücher für die Jahre 2016 bis 2018 durch KPMG veranlasst. Der Ende April veröffentlichte Bericht des Wirtschaftsprüfers konnte dabei nicht alle Zweifel ausräumen. Auch wenn die eigens beauftragten Prüfer bisher nicht den sprichwörtlichen „rauchenden Colt“ bei den Aschheimern finden konnten – Bedenken blieben. So konnte KPMG unter anderem einige kritische Daten nicht einsehen, in einem wichtigen Teilaspekt der Prüfung konnten sich die Prüfer daher gar nicht zu einem Urteil durchringen.

Ärgerlich ja – aber nur für wen?

Finanzchef Alexander von Knoop bedauerte die abermalige Verschiebung der testierten Bilanz für das vergangene Jahr. „Die erneute Verzögerung bei der Vorlage eines testierten Abschlusses ist mehr als ärgerlich – mit oder ohne Covid-19. Ich gehe davon aus, dass sich keine wesentlichen Abweichungen dieses sehr intensiv geprüften Abschlusses gegenüber den gemeldeten vorläufigen Zahlen ergeben.“ Immerhin habe Ernst & Young Wirecard darüber informiert, dass zwischenzeitlich alle ausländischen Prüfer grundsätzlich ihre Prüfungshandlungen für Konzernzwecke finalisieren konnten.

Im Rahmen der abgeschlossenen Teile der Prüfungshandlungen wurden Wirecard bisher keine wesentlichen Feststellungen bekannt gemacht, hieß es weiter. Diese oder eine ähnliche Formulierung wählte Wirecard schon des öfteren, wenn hinterher dennoch handfeste Fragen offen blieben oder sogar kleinere Buchungen korrigiert werden mussten wie bei einer Tochter in Singapur. Bis zum 18. Juni sollen alle Prüfungshandlungen abgeschlossen sein. Dann will Wirecard den Abschluss vorlegen und bei der Bilanzpressekonferenz vorstellen – dies hatte das Unternehmen ursprünglich bereits Ende April vorgehabt, dann aber wegen der Probleme bei der Bilanzierung verschoben.

Gibt es eine Reisebeschränkung für Dokumente?

Wirecard-Chef Markus Braun hatte zuletzt unaufhörlich beteuert, dass alles in Ordnung ist. Bei Vorlage des KPMG-Sonderberichts Ende April hatte er noch gesagt, dass der reguläre Buchprüfer EY allein wegen der Sonderprüfung durch KPMG keine Verzögerungen sehe. Nach offizieller Unternehmensdarstellung ist es vor allem Reisebeschränkungen und Verzögerungen durch die Corona-Krise geschuldet, dass bisher noch kein Testat für 2019 vorliegt.

Wegen des massiven Verlusts des Börsenwerts in den vergangenen Wochen und dem zunehmenden Druck der Investoren soll Braun, der auch mit sieben Prozent an dem Unternehmen beteiligt ist, formal im Vorstand etwas Macht abgeben und sich vorwiegend um die Strategie kümmern. In der obersten Führungsriege wird ihm mit dem Amerikaner und Deutsche-Börse-Manager James Freis ein Aufpasser an die Seite gestellt, der die Einhaltung von Regeln und guter Unternehmensführung im Konzern überwachen soll. Zudem will Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann neue Vorstandsmitglieder für den Vertrieb und das Tagesgeschäft installieren.

Die erneute Verzögerung bei der Bilanzvorlage dürfte die jüngste leichte Erholung des Papiers wieder beenden – bei der Handelsplattform Lang & Schwarz büßte das Papier rund fünf Prozent ein. Der Kurs der seit September 2018 im deutschen Leitindex Dax notierten Aktie steht seit der Veröffentlichung des KPMG-Sonderberichts ohnehin massiv unter Druck. Der Kurs stürzte zeitweise um fast die Hälfte auf 72 Euro ab, konnte sich aber zuletzt unter anderem wegen des Vorstandsumbaus zumindest wieder etwas erholen.

Mit 87 Euro zum Xetra-Schluss am Montag lag das Papier weiter deutlich unter dem Niveau, dass es vor den ersten Berichten der „Financial Times“ über angeblich manipulierte Bilanzen Ende Januar 2019 hatte. Damals stürzte die Aktie innerhalb weniger Tage von mehr als 160 Euro auf weniger als 100 Euro ab. Bis zum KPMG-Sonderbericht konnte sich der Kurs dann unter heftigen Schwankungen wieder auf etwas mehr als 140 Euro erholen – mit dem Rutsch seit Ende April fiel das Papier allerdings wieder auf das Niveau von Ende 2017 zurück.

HSBC senkt Kursziel weiter

Die britische Investmentbank scheint hingegen die Nase voll zu haben von den andauernden Verzögerungen bei Wirecard. Nachdem HSBC die Aktie des Dax-Konzerns von „Buy“ auf „Hold“ herabgestuft hatte und das Kursziel auf 105 Euro halbiert hatte, geht es es heute mit dem Zielkurs für die Aktie weiter bergab. Jetzt sehen die britischen Experten nur noch ein Potenzial bis 95 Euro.

Redaktion onvista / dpa-AFX

Foto: Homepage Wirecard

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